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Neva

Neva

Titel: Neva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Grant
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von oben sehen, wo wir sind und wo Sanna sein könnte. Der Anstieg wird steiler, und schließlich müssen wir die Maschine schieben. Oben auf dem Gipfel legt Braydon sie auf die Seite.
    Der Wald erstreckt sich endlos, doch am Fuß des Hügels in der Mitte dieses Tals befindet sich ein riesiger quadratischer Backsteinbau mit einem begrünten Innenhof, der mich an eine antike Burg erinnert. Ich sehe Gestalten, die sich langsam bewegen. Von hier oben ist allerdings schwer auszumachen, was sie tun. Hinter dem Haupthaus steht ein weiteres eckiges Gebäude ohne Fenster, das wie eine Scheune aussieht. Vier dunkel gekleidete Gestalten ziehen ihre Kreise darum – zweifellos Wachtposten. Das muss das Frauen-Motivationszentrum sein. Wenn nicht die Wachleute wären, die ihre immer gleichen Bahnen ziehen, würde der Komplex keinesfalls so düster wirken.
    Frauen-Motivationszentrum. Das klingt gar nicht schlimm. Gegen Motivation ist nichts einzuwenden. »Frauen« ist das Wort, das in letzter Zeit einen unangenehmen Beigeschmack bekommen hat. Eine Frau zu sein erhöht die Wahrscheinlichkeit zu verschwinden. Was machen sie mit den Frauen? Verpassen sie ihnen eine Gehirnwäsche? Impfen sie ihnen ein, dass Kinder das größte Geschenk sind, das sie dem Land machen können? Sie werden sie ja wohl kaum foltern, oder? Schließlich brauchen sie gesunde Frauen, die sie in die Gesellschaft entlassen können, damit sie einen Partner finden und Babys produzieren.
    Wir bemerken eine Bewegung auf der unbefestigten Straße, die zu dem Häuserkomplex führt. Der weiße Transporter. Braydon und ich ducken uns unwillkürlich. Aus unserer zusammengekauerten Position sehen wir, wie das Auto das Gebäude umrundet und dahinter hält. Wir setzen uns nieder. Fünf Personen steigen aus dem Wagen und verschwinden hinter dem Gebäude. Wir warten ab.
    »Es wird langsam dunkel«, sagt Braydon. Das ist mir gar nicht aufgefallen. »Heute können wir sowieso nichts mehr tun. Wir sollten uns einen Platz zum Schlafen suchen. Morgen können wir uns überlegen, was wir unternehmen.«
    Wir schieben das Motorrad wieder den Hügel hinab. Beinahe übersehen wir sie, die kleine Holzhütte zwischen den Bäumen, die von dichten Büschen überwuchert ist. »Bleib hier. Ich sehe nach«, sagt er.
    Ich bin zu erschlagen, um zu widersprechen. Die Hütte ist kaum größer als Braydon. Nach wenigen Minuten winkt er mir. Erst als wir und das Motorrad uns sicher im Inneren befinden, merke ich, dass die Hütte kein Dach hat. Kreuz und quer stützen Äste und Balken die Wände, aber zwischen uns und der Protektosphäre ist nichts. Es gibt keine Fenster und nur eine Tür, die sich mit einem schweren Balken verschließen lässt. Braydon sichert den Riegel. »Für heute Nacht wird es wohl gehen«, meint er und beginnt, meine Tasche zu leeren, die hinten auf dem Bike befestigt war. Er reicht mir ein Stück Brot und Käse. Wir haben den ganzen Tag Wasser aus seiner Feldflasche getrunken, und es ist nicht mehr viel da. Wir sind zu müde zum Sprechen. Während wir an gegenüberliegenden Wänden der Hütte lehnen, essen wir im Stehen.
    Der Boden ist mit Unkraut zugewachsen, das mir an manchen Stellen bis zum Knie reicht. Braydon stampft es platt und breitet eine Decke darüber aus. Ich ziehe meine Jacke aus. Sie fühlt sich an, als wäre sie durch den Schweiß mit meinem Körper verwachsen. Er wendet mir den Rücken zu, streift vorsichtig die Stiefel ab und legt sich hin. Meine Haut ist feucht, die Luft kalt. Ich schaudere. Schließlich klopft er auf den Platz neben sich, und ich strecke mich auf der Decke aus. Das trockene Gras und das Unkraut rascheln unter mir.
    Wir haben Angst, uns zu berühren. Stumm blicken wir hinauf zur Mondsichel, ohne die es im Wald stockfinster wäre. Es kommt mir vor, als hätten wir das Ende von allem erreicht. Meine Furcht vor der Dunkelheit wird überlagert von Millionen von anderen Ängsten.
    »Neva«, flüstert er und dreht sich auf die Seite, um mich anzusehen. Es ist eine Frage und zugleich ein Flehen, das sich in meinem Namen ausdrückt. Er beugt sich über mich. Ich küsse ihn zart auf die Lippen und gebe ihm so meine Antwort. Wir küssen uns mit offenen Augen. Ich will diesen Augenblick sehen und fühlen.
    Quälend langsam macht er sich von mir los. Ich folge seiner Bewegung, will den Kontakt nicht abbrechen lassen. Seine Hände erforschen meinen Körper, und er beobachtet, wie er mich berührt. Er arbeitet sich abwärts voran, zieht mich Stück für

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