Neva
Hindernisparcours vor uns ist der reine Wahnsinn, aber Braydon manövriert uns hindurch. Wir springen über Baumwurzeln, und bei jedem Aufprall wird mein Kopf vor- und zurückgeschleudert. Ich umklammere Braydon fester. Wir sind ein gutes Stück von der Straße entfernt, und plötzlich verlieren wir rapide an Tempo: Die Verfolgungsjagd muss die Batterie überstrapaziert haben. Wir rollen aus und kommen zum Stehen.
Ich springe vom Sattel. »Das war …«, beginne ich, weiß jedoch nicht weiter. »Du warst …« Meine Beine geben nach. Braydon lässt das Bike fallen und eilt zu mir herüber.
Wir sehen uns um und lauschen angestrengt auf das Knacken von Zweigen oder das Geräusch von Schritten. Doch es herrscht nur kühles, unheimliches Schweigen.
Er zieht mich an sich und küsst mich auf den Scheitel. Ich höre sein Herz pochen. Meins schlägt so heftig, als würde es nach seinem greifen.
Er legt sein Kinn auf meinen Kopf. »Hier können wir nicht bleiben.«
»Wir müssen nah dran sein.«
»Ja, und sie wissen, dass wir hier sind. Vielleicht suchen sie schon nach uns. Neva, wir sollten auf den Highway zurück. Wir haben das nicht genug durchdacht.«
»Wir können jetzt nicht umkehren.«
»Da stimme ich dir zu.«
Verwirrt lege ich den Kopf schief. Er hebt das Motorrad auf und untersucht es, während er redet. »Wir haben noch eine Batterie, und mit der kommen wir ein gutes Stück weiter nach Norden. Dort ist so gut wie keiner mehr. Wir könnten im Wald zelten, eine Weile von dem leben, was wir finden. Braydon und Neva könnten untertauchen und für immer verschwinden.« Er zupft Unkraut und Zweige von Motorrad und Batterie.
Für einen Moment lasse ich seinen Vorschlag auf mich wirken. Ich wäre nicht mehr die Tochter des Ministers für Altgeschichte. Er wäre nicht mehr der Freund meiner besten Freundin. Bis zu diesem Augenblick habe ich mir nie eine Zukunft vorgestellt, jedenfalls keine, die mein Herz so leicht werden lässt wie Braydons Idee.
Er zieht die Brauen hoch. »Und – was sagst du?«
Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich lieber ja sagen wollen. Aber ich schweige.
»Wir sollten uns in Bewegung setzen«, meint er, als er meine Unentschlossenheit bemerkt. »Ich muss die Batterie auswechseln, dann musst du eine Entscheidung fällen.«
Während ich zusehe, wie er die neue Batterie anschließt, denke ich daran, wie es wohl wäre, wenn es nur Braydon und mich gäbe. Ich versuche mir vorzustellen, in der Wildnis zu leben, an einem Ort, den die Regierung längst abgeschrieben hat. Niemand, der uns beobachtet oder der uns vorschreibt, was wir tun sollen.
Doch dann denke ich an Sanna. Wieder sehe ich sie vor mir, nachdem sie Braydon und mich beim Küssen erwischt hat. Die Verwirrung auf ihrem Gesicht, die in Verzweiflung umschlug. Ich kann Sanna nicht im Stich lassen. Andererseits weiß ich nicht, ob ich stark genug bin, sie zu retten. Dennoch habe ich kaum eine Wahl. Als Braydon fertig ist, ist seine Wange ölverschmiert. Irgendwie hat er ein wenig an Glanz verloren. Auch seine Schuhe wirken nicht mehr so blank.
Als wir wieder aufsteigen, möchte ich ihm so gerne sagen, dass er Gas geben und nach Norden fahren soll. Es wäre wahrscheinlich das Klügste, was wir tun können, wenn wir überleben wollen. Doch ich kann nicht. »Ich kann nicht ohne Sanna verschwinden.« Ich könnte niemals glücklich werden, wenn ich sie im Stich lassen würde.
Er lässt seine Schultern hängen. »Wenn wir diese Sache hier durchziehen, kann es für uns keine gemeinsame Zukunft geben – wie auch immer es ausgeht. Wir haben jetzt diese eine Chance, alles hinter uns zu lassen und noch einmal von vorne zu beginnen.«
Er hat recht. Wir werden in keinem Fall zusammen sein. Wenn wir versuchen, Sanna zu befreien, wird die Regierung uns jagen, und falls es uns irgendwie gelingen sollte, wird Sanna danach Braydon mehr denn je brauchen. Und falls wir nach Hause zurückkehren – was mir im Augenblick sehr unwahrscheinlich erscheint –, habe ich eine Einladung zu einem neuen Leben außerhalb der Protektosphäre.
»Ich kann Sanna nicht im Stich lassen«, wiederhole ich leise.
»Vielleicht finden wir sie gar nicht. Und falls doch …« Er macht eine Pause und fährt lauter fort: »Falls doch, können wir sie möglicherweise trotzdem nicht befreien.«
»Wir müssen es zumindest versuchen«, entgegne ich und schmiege mich an seinen Rücken. Er startet den Motor. Langsam fahren wir einen Hügel hinauf. Vielleicht können wir
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