Neva
Stück aus und küsst meine nackte Haut. An meiner Tätowierung verweilt er. Plötzlich verlegen, bedecke ich sie mit meiner Hand. Er verschränkt seine Finger mit meinen.
Ich fühle mich, als würde ich gleichzeitig implodieren und explodieren. Ich will keine Angst mehr haben, aber ich
habe
Angst. Ich fürchte mich entsetzlich vor dem, was als Nächstes kommen mag. Ich will, dass er aufhört. Gleichzeitig fürchte ich mich davor, dass er genau das tut und ich vielleicht nie wieder so empfinden werde.
»Ist alles okay mit dir, Neva?«
Ich küsse ihn und rolle ihn dabei auf den Rücken. Nun ziehe ich
ihn
mit zittrigen Fingern aus. Wir drängen uns aneinander. Ich kann ihm einfach nicht nah genug sein. Unsere Leidenschaft folgt einem Rhythmus, und unsere Hände, unsere Lippen gleiten instinktiv über den Körper des anderen.
Ich wünsche mir so sehr, den Schwur brechen zu können, aber irgendetwas hält uns davon ab, diese Grenze zu überschreiten. Wir sprechen kein Wort. Wir wissen beide, dass wir mit dem Bruch unseres Gelübdes der Regierung Einlass gewähren würden. Und heute Nacht gibt es nur Braydon und mich.
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26 . Kapitel
I ch schlage die Augen auf, aber mein Körper ist noch träge vom Schlaf. Braydon liegt über mir, deckt mich zu. Wir liegen im Schatten, doch die Sonne scheint hell. Lange starre ich ihn an und möchte zurückholen, was gestern Nacht gewesen ist. Im harschen Tageslicht sehe ich den Freund meiner besten Freundin und jemanden, den ich kaum kenne. Gestern Nacht hat es sich ganz anders angefühlt.
Ich kann nicht ändern, was geschehen ist. Und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch nicht. Ich werde nichts bereuen. Ich werde diese Erinnerung wie in einer Seifenblase aufbewahren, die ich aufmerksam fernhalte von Etiketten wie Gut und Böse oder Richtig und Falsch.
Rasch schlüpfe ich aus seiner Umarmung und ziehe mich an. Ich hebe den Riegel behutsam Millimeter für Millimeter an. Braydon hat sich auf die andere Seite gerollt und in die Decke gewickelt. Seine Schultern sind nackt, die Füße bloß. Gefühle von gestern Nacht durchströmen mich. Mein Leben teilt sich in die Zeit vor und nach dem Kuss im Dunkeln.
Mir bleiben noch zwei Tage. Am ersten muss ich versuchen, Sanna zu retten, und am nächsten Tag um Mitternacht kann ich bereits fliehen. Wenn ich eine Chance auf Erfolg haben will, muss ich eins nach dem anderen angehen. Jetzt lasse ich die Hütte hinter mir und steige wieder auf den Hügel. Eine Weile beobachte ich von oben das Tal. Ich merke mir, wie die Leute das Gebäude betreten und verlassen, wie die Wachen patrouillieren. Ein dunkles Auto – mit dem Wappen von Heimatland, wie ich zu erkennen glaube – hält vor dem Komplex. Ein Mann in Schwarz gibt etwas ab, das wie eine Kühlbox aussieht, und fährt dann wieder.
Ich höre Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehe, sehe ich Braydon näher kommen. Sein Haar steht an einer Seite ab, und sein Gesicht ist noch zerknautscht vom Schlaf. Mir wird klar, dass ich ähnlich zerzaust aussehen muss. Er legt einen Arm um meine Taille. Wir schwanken leicht, als würde die sanfte morgendliche Brise uns wiegen. Er küsst mich. »Alles klar mit dir?«
Ich nicke.
Wange an Wange stehen wir da. »Wie sieht der Plan aus?«, fragt er. »Ich kann das Räderwerk in deinem Kopf förmlich arbeiten hören.«
Es ist ein lustiges Gefühl, seine Kiefermuskeln an meinem Gesicht zu spüren, während er die Worte bildet, und ich lege meine Hand an seine Wange, um ihn festzuhalten. Ich habe nachgedacht. Der erste Teil meines Plans steht, aber alles Weitere wird von ein wenig Glück und sehr viel Improvisation abhängen.
»Auf gar keinen Fall«, erwidert er, nachdem ich ihm erklärt habe, was ich mir vorstelle. »Wenn, dann übernehme ich das Risiko, nicht du. Das lasse ich nicht zu.« Er macht sich von mir los.
Ich schüttele den Kopf. »Braydon, hier werden Frauen hingebracht. Ich falle da nicht weiter auf. Und falls ich geschnappt werde …« Ich rede schneller, als ich bemerke, wie seine Miene sich verfinstert. »Das wird nicht passieren, aber falls doch, kannst du meinen Eltern Bescheid geben. Meine Mom lässt mich unter keinen Umständen hier.«
»Was denkst du dir nur dabei?« Er spricht nun lauter, zu laut für meinen Geschmack.
»Ich muss es tun, Braydon.« Ich werfe einen Blick hinunter ins Tal. Ich denke an meine Großmutter und meine Mutter. An Sanna und ihre Mutter. An Senga und ihre drei Töchter. »Ich mache es mit oder ohne
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