Nevada Pass
können – auch er war beängstigend mager, hatte eine tiefbraune Haut, und auch sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Jackson spürte nichts von der klirrenden Kälte: Bei so steilen Steigungen wie der, die der Zug gerade hinaufkeuchte, kam er kaum mit dem Heizen nach, denn bei Volldampf verschlang der Ofen in Rekordzeit ungeheure Mengen von Brennmaterial, was dazu führte, daß Jackson zeitweise regelrecht in Schweiß gebadet war. Er warf noch einen Armvoll Scheite auf die glühenden Kohlen, wischte sich die Stirn ab und schloß die Tür des Feuerlochs, wodurch es im Führerhaus plötzlich so gut wie dunkel war.
Banlon riß seinen Blick von den Schienen los und wandte sich wieder den Kontrollvorrichtungen zu. Plötzlich ertönte ein lautes, metallisches und bedrohliches Rattern, das Banlon zu einem Schwall nicht wiederholbarer Flüche veranlaßte.
»Was ist los?« fragte Jackson alarmiert.
Banlon antwortete nicht sofort. Er griff hastig nach der Bremse. Einen Augenblick passierte gar nichts. Und dann kam der Zug mit ohrenbetäubendem Knirschen der Bremsen und hartem Aufeinanderkrachen der Puffer zum Stehen. In allen Abteilen suchten die wenigen, die noch wach gewesen waren – mit Ausnahme des gefesselten Deakin – und die meisten derer, die gerade gewaltsam aufgeweckt worden war, nach einem Halt, denn der Bremsvorgang brachte nicht nur Lärm mit sich, sondern schüttelte den Zug auch noch kräftig durch, und nicht wenige der Schläfer fanden sich plötzlich auf dem Fußboden wieder.
»Wieder dieser verdammte Dampfregler!« schnaubte Banlon. »Ich glaube, die Mutter hat sich gelöst. Gib Devlin durch, er soll die Bremsen fest anziehen.« Er nahm eine nur schwach leuchtende Petroleumlampe von einem Haken und betrachtete mißbilligend den defekten Regler. »Und mach die Feuerluke auf – diese gottverdammte Lampe würde ja gegen kein Glühwürmchen aufkommen.«
Jackson gehorchte. Dann beugte er sich aus dem Fenster und blickte den Zug entlang. »Auf dieser Seite kommen schon ein paar«, verkündete er. »Und sie sehen nicht gerade begeistert aus.«
»Was hast du denn erwartet?« fragte Banlon mürrisch. »Eine Abordnung, die uns danken will, daß wir ihnen das Leben gerettet haben?« Er blickte auf seiner Seite hinaus. »Hier kommen auch ein paar zufriedene Kunden.«
Aber einer der Reisenden lief nicht in Richtung Lokomotive. In der Dunkelheit kaum sichtbar, sprang er vom Zug, blickte sich hastig um, rannte geduckt zur Böschung und sprang mit einem Satz zum Flußufer hinunter. Unten zog er seine eigenartig spitze Mütze aus Waschbärfell tief in die Stirn und lief in die Richtung, aus der der Zug gekommen war.
Colonel Claremont erreichte das Führerhaus der Lokomotive als erster, obwohl er deutlich sichtbar hinkte – er war einer der festeren Schläfer gewesen und nach dem Sturz aus dem Bett höchst unsanft mit der rechten Hüfte auf dem Fußboden aufgeschlagen. Mit einiger Mühe zog er sich die Eisenstufen hinauf.
»Was zum Teufel soll das, Banlon? Sie haben uns alle zu Tode erschreckt!«
»Tut mir leid, Sir«, sagte Banlon ebenso steif wie höflich. »Ich habe nur nach den Vorschriften der Eisenbahngesellschaft gehandelt. Der Ausfall eines Kontrollgeräts gilt als Notfall. Eine Mutter hat sich –«
»Schon gut, schon gut.« Claremont rieb sich vorsichtig die Hüfte. »Wie lange dauert die Reparatur? Wahrscheinlich die ganze verdammte Nacht!«
Banlon gestattete sich ein angedeutetes Lächeln: »Fünf Minuten, Sir, länger nicht.«
Als Banlon sich daran machte, seine Voraussage in die Realität umzusetzen, blieb der Mann mit der Waschbärmütze plötzlich am Fuße eines Telegraphenmastes stehen. Er blickte den Weg zurück, den er gekommen war: er hatte das Zugende bereits mindestens fünfzig Meter hinter sich gelassen. Zufrieden legte er einen langen Gürtel um sich und den Mast und begann zu klettern. Oben angekommen zog er eine Drahtschere aus der Jacke, mit der er hastig die Telegraphendrähte auf der Seite der Isolatoren, die vom Zug entfernt lagen, durchschnitt. Die Drähte verschwanden in der Dunkelheit, und der Mann glitt wieder nach unten.
Im Führerhaus richtete sich Banlon mit dem Schraubenschlüssel in der Hand auf. »Fertig?« fragte Claremont.
»Fertig!« nickte Banlon und hob angelegentlich seine schmutzige Hand, um ein gewaltiges Gähnen zu vertuschen.
Claremont ließ für einen Augenblick seine schmerzende Hüfte außer acht und fragte. »Sind Sie sicher, daß Sie
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