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Nevada Pass

Nevada Pass

Titel: Nevada Pass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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überhaupt nichts zu essen oder zu trinken?«
    »Dieser arme Mann!« echote Pearce empört. »Würden Sie diese Formulierung auch vor den Angehörigen der Leute gebrauchen, die bei dem Brand in Lake's Crossing ums Leben kamen? Dieser Galgenvogel hat noch genug Fleisch auf den Rippen. Er wird es überleben.«
    »Aber Sie werden ihn doch nicht die ganze Nacht über gefesselt lassen!«
    »Doch, das werde ich!« erklärte Pearce entschieden. »Aber morgen früh werde ich ihm die Fesseln abnehmen.«
    »Morgen früh?«
    »Richtig. Morgen erübrigen sich die Fesseln nämlich, weil wir dann mitten in feindlichem Territorium sein werden und er ganz sicher keinen Fluchtversuch machen wird. Ein weißer Mann alleine, ohne Waffen und ohne Pferd, hätte im Gebiet der Pajute keine zwei Stunden zu leben. Seine Spuren im Schnee könnte sogar ein Kind finden – und wenn er zufällig nicht entdeckt werden sollte, würde er mit Sicherheit verhungern oder erfrieren. Und wenn wir auch sonst nicht viel über Mister Deakin wissen – eins steht fest: sein eigenes Leben ist ihm sehr viel wert.«
    »Er soll also die ganze Nacht hier liegen – und leiden.«
    »Er ist ein Mörder, Brandstifter, Dieb, Betrüger und Feigling«, sagte Pearce geduldig. »Sie haben sich für ihr Mitleid ein ziemlich erbärmliches Objekt ausgesucht, Madam.«
    »Und Sie sind ein ziemlich erbärmliches Objekt eines Marshals, Mr. Pearce.« Nach den ziemlich fassungslosen Gesichtern der Zuschauer zu urteilen, waren stürmische Gefühlsausbrüche bei Marica eine Seltenheit. »Jedenfalls scheinen Sie sich in den Gesetzen nicht besonders gut auszukennen. Nein, Onkel, ich höre nicht auf. Laut Gesetz ist ein Mensch so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist, aber Mister Pearce hat diesen Mann bereits verurteilt und wird ihn vermutlich am nächsten Baum aufhängen. Ein Vertreter des Gesetzes! Daß ich nicht lache! Das Gesetz möchte ich sehen, das ihn ermächtigt, einen Gefangenen schlimmer als ein Tier zu behandeln!«
    Nach diesen Worten drehte sie sich abrupt um und verließ mit wehenden Röcken das Abteil. O'Brien sagte mit ausdruckslosem Gesicht: »Ich dachte, Sie kennen das Gesetz, Nathan.«
    Pearce sah ihn stirnrunzelnd an, dann grinste er schief und griff nach seinem Glas.
    Die dunklen Wolken am westlichen Horizont hatten inzwischen eine bedrohliche blauschwarze Färbung angenommen und bildeten einen gespenstigen Hintergrund für die noch immer in weiter Ferne liegenden, weißschimmernden Berggipfel. Das Tal stieg jetzt steil an, und der Zug, der sich entlang dem teilweise zugefrorenen Fluß die Steigung hinaufkämpfte, passierte die ersten schneebedeckten Kiefern – Vorboten der eisigen Kälte, die weiter oben herrschte.
    Im Inneren des Zuges dagegen herrschte geradezu hochsommerliche Hitze, aber Deakin, der das Tagesabteil der Offiziere jetzt für sich allein hatte, war nicht in der Stimmung, sich darüber zu freuen. Und auch für die Behaglichkeit, die der Ofen und der warme Schein der letzten noch brennenden Petroleumlampe dem Raum verliehen, hatte er keinen Sinn. Er hatte sich auf eine Seite fallen lassen, um seine Lage wenigstens etwas erträglicher zu machen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und Anstrengung, als er erneut und wiederum vergeblich versuchte, die Fesseln zu lockern, die seine Hände auf dem Rücken zusammenhielten. Resigniert gab er auf.
    Deakin war nicht der einzige in diesem Waggon, der keinen Schlaf fand: Marica saß aufrecht auf der schmalen Schlafkoje, die mehr als die Hälfte ihrer Kabine ausfüllte, kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum und warf gelegentlich einen unschlüssigen Blick auf die Tür. Ihre Gedanken kreisten um das gleiche Problem, das Deakin beschäftigte – die unbequeme Lage, in der letzterer sich befand. Plötzlich stand sie entschlossen auf, wickelte sich in eine Decke, trat leise auf den Gang hinaus und zog lautlos die Tür hinter sich zu.
    An der nächsten Tür blieb sie stehen und horchte. Dem Schnarchen nach zu schließen, hatte der Gouverneur des Staates Nevada beschlossen, sich erst am nächsten Morgen wieder Sorgen zu machen. Beruhigt ging Marica weiter, öffnete die Tür zum Tagesabteil, schloß sie hinter sich und blickte auf Deakin hinunter. Er erwiderte ihren Blick, aber sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Marica zwang sich, ruhig und sachlich zu sprechen.
    »Geht es Ihnen einigermaßen?«
    »Na sieh mal einer an!« Interesse erwachte in Deakins Augen. »Am Ende ist die Nichte

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