Nevada Pass
diese Nacht durchfahren können?«
»Wir brauchen nur heißen Kaffee. Und dafür haben wir alles, was wir brauchen, hier in der Kabine. Aber morgen würden wir – Jackson und ich – ganz gerne verschnaufen. Vielleicht können Sie eine Ablösung …«
»Ich werde sehen, was sich tun läßt«, sagte Claremont kurz, aber nicht, weil er etwas gegen Banlon hatte, sondern nur weil der Schmerz in seiner Hüfte erneut seine ganze Aufmerksamkeit verlangte. Er kletterte steifbeinig aus der Lokomotive, ging am Zug entlang bis zum ersten Waggon und stieg dort ebenso steifbeinig die eisernen Stufen hinauf. Der Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung. Gleichzeitig erschien der Mann mit der Waschbärmütze am Rande der Böschung, blickte prüfend nach beiden Seiten, begann zu rennen und sprang hinten auf den dritten Waggon auf.
4
E s wurde langsam hell, und in dieser Höhe und so spät im Jahr geschah das erst, wenn der Morgen eigentlich schon vorbei war. Die Gipfel der Berge, die am Abend zuvor in weiter Ferne geschimmert hatten, waren inzwischen zwar viel näher gerückt, aber momentan nicht zu sehen. Die eintönig schmutzig-weiße Wolkendecke im Westen ließ darauf schließen, daß es ein paar Meilen weiter schneite. Und das leise Schwanken der schneebedeckten Kiefernwipfel zeigte, daß der Morgenwind zunehmend auffrischte. An einigen Stellen des Flusses, wo das Wasser fast stillstand, kroch das Eis von den Rändern auf die Mitte zu. Der Bergwinter hatte begonnen.
Henry, der Steward, war gerade dabei, den bereits glühenden Ofen im Tagesabteil der Offiziere zu schüren, als Colonel Claremont durch den Gang eintrat und an dem auf dem Boden liegenden, schlafenden Deakin vorbeiging, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Claremonts Hüftverletzung war anscheinend nur noch eine unangenehme Erinnerung, denn er hinkte nicht mehr und rieb sich geschäftig die Hände. »Ein scheußlicher Morgen, Henry.«
»Das kann man wohl sagen, Sir. Möchten Sie frühstücken? Carlos hat schon alles vorbereitet.«
Claremont trat ans Fenster, zog den Vorhang beiseite, säuberte die beschlagene Scheibe und blickte mürrisch nach draußen. Er schüttelte den Kopf.
»Später. Es sieht aus, als bekämen wir bald Schnee. Bevor es losgeht, möchte ich noch mit Reese City und Fort Humboldt sprechen. Holen Sie Ferguson, den Telegraphisten. Und sagen Sie ihm, er soll gleich alles Nötige mitbringen.«
An der Tür wäre Henry beinahe mit dem Gouverneur zusammengestoßen, der, gefolgt von O'Brien und Pearce, das Abteil betrat. Pearce beugte sich zu Deakin hinunter, rüttelte ihn unsanft wach und begann, die Fesseln zu lösen.
»Guten Morgen, guten Morgen!« Claremont war ganz in seinem Element – endlich hatte er wieder Gelegenheit, etwas zu tun. »Bin gerade dabei, mit Reese City und Fort Humboldt Verbindung aufzunehmen. Der Telegraphist muß jeden Augenblick hier sein.«
»Soll ich den Zug anhalten lassen?« fragte O'Brien.
»Ich bitte darum.«
O'Brien öffnete die Tür, trat auf die vordere Plattform hinaus, schloß die Türe hinter sich und zog an einem in Kopfhöhe angebrachten Seil. Ein oder zwei Sekunden später streckte Banlon den Kopf aus dem Führerhaus der Lokomotive, blickte den Zug entlang und sah, wie O'Brien den rechten Arm hob und senkte. Banlon winkte bestätigend und zog den Kopf zurück. Gleich darauf verlangsamte der Zug seine Geschwindigkeit. O'Brien kehrte in das Abteil zurück und klopfte sich mit den Händen auf die Oberarme.
»Großer Gott, ist das eine Kälte da draußen.«
»So was belebt, mein lieber O'Brien«, sagte Claremont sarkastisch, und man sah ihm deutlich an, wie wenig ihn die Aussicht begeisterte, selbst hinaus zu müssen. Er sah Deakin an, der seine Hände massierte, und wandte sich dann an Pearce. »Wo wollen Sie den Burschen unterbringen, Marshal? Ich kann Sergeant Bellew beauftragen, ihn unter Bewachung stellen zu lassen.«
»Nichts gegen Bellew, Sir. Aber einem Mann, der so geschickt mit Zündhölzern, Petroleum und Sprengstoff umgehen kann – und ich nehme an, daß jeder Truppentransportzug von all diesen Dingen eine beträchtliche Menge geladen hat – behalte ich lieber selbst im Auge, Sir.«
Claremont nickte kurz und wandte sich dann den beiden Soldaten zu, die gerade eingetreten waren. Ferguson, der Telegraphist, hatte einen Klapptisch, eine Rolle Kabel und einen kleinen Kasten mitgebracht, der sein Schreibzeug enthielt. Sein Assistent, der junge Kavallerist Brown, schleppte den
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