Nevada Pass
Waggons angelangt war, spähte er durch eine Ritze in der Tür nach draußen: Carlos starrte mißmutig auf seine vermutlich sehr kalten Füße hinunter. Deakin wandte sich dem Verschlag zu seiner Linken zu, der das Heu für die Pferde enthielt. Mit größter Sorgfalt und völlig geräuschlos entfernte er die oberen Latten und einen Armvoll Heu, hob das Sendegerät aus der Mulde, legte das Heu und die Latten wieder an ihren Platz, ging mit dem Sender zum Ende des Waggons, trat hinaus, sah sich hastig nach beiden Seiten um und machte sich auf den Weg zum Ende des Zuges.
Etwa fünfzig Meter dahinter stand ein Telegraphenmast. Deakin wickelte die Schleppleitung von dem Gerät ab und befestigte das eine Ende an seinem Gürtel. Dann begann er den Mast hinaufzuklettern.
Aber nach etwa einem Meter kam er nicht mehr weiter. Der Mast war von einem dicken Eismantel umhüllt, der nirgends Halt bot und jeden weiteren Aufstieg unmöglich machte. Deakin sprang auf den Boden zurück, dachte einen Augenblick nach, riß dann ein Stück Stoff aus seinem Hemd und zerriß den Fetzen in zwei Teile.
Dann ging er zu einem der beiden Drahtseile, die den Mast hielten, schlang die Beine darum und zog sich mit den durch die provisorischen Handschuhe aus dem Stoff seines Hemdes notdürftig geschützten Händen Stück für Stück daran hoch. Es war eine ziemlich mühsame Arbeit, denn seine Kraftreserven waren schon sehr reduziert, aber er schaffte es. Als er die Mastspitze erreicht hatte und rittlings auf dem Querbalken saß, stellte er alarmiert fest, daß seine eiskalten Hände ihm nicht mehr gehorchten – in diesem Augenblick waren Erfrierungen das letzte, was er brauchen konnte.
Zwei Minuten lang rieb und knetete er seine Hände, und der Schmerz, mit dem die Blutzirkulation wieder einsetzte, überzeugte ihn, daß er diesem Mißgeschick noch einmal entgangen war. Er löste die Schleppleitung des Senders von seinem Gürtel, befestigte sie an einem Telegraphendraht und kehrte auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, auf den Boden zurück, und das so schnell, daß seine Hände wie Feuer brannten. Er öffnete den grauen Kasten und beugte sich über ihn, um ihn so weit wie möglich vor dem Schneetreiben zu schützen. Dann begann er zu senden.
In Fort Humboldt, wo das Wetter nicht besser war, saßen White Hand, Sepp Calhoun und zwei weitere weiße Männer im Büro des Kommandanten. Calhoun hatte wie üblich seine Füße auf Fairchilds Schreibtisch und war wiederum damit beschäftigt, die Whisky- und Zigarrenvorräte des Colonels zu dezimieren. White Hand saß aufrecht in einem hochlehnigen Stuhl und würdigte das vor ihm stehende Glas keines Blickes. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, ein bärtiger Mann stürmte herein und rief: »Schnell! Es kommt eine Nachricht durch!«
Calhoun und White Hand wechselten einen kurzen Blick, sprangen auf und eilten hinaus. Als sie das Telegraphenbüro betraten, war Carter noch damit beschäftigt, die Nachricht niederzuschreiben. Calhoun warf ihm und Simpson, dem anderen Telegraphisten, einen kurzen Blick zu, nickte zu den beiden Wachposten hinüber und flegelte sich in den Schreibtischsessel. White Hand blieb stehen. Carter hörte auf zu schreiben und gab Calhoun das Stück Papier hinüber. Der warf einen Blick darauf, und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut.
»Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
»Gibt es Ärger, Sepp Calhoun? Ärger für White Hand?« fragte White Hand mit ruhiger Stimme.
»Das kann man wohl sagen! Hör zu: ›Anschlag auf Truppenwaggons fehlgeschlagen. Schwerbewaffnete Wachen auf allen Waggons. Vorsicht geboten.‹ Wie in Gottes Namen haben die verdammten Idioten –«
»Diese Reden nützen nichts, Calhoun.« White Hand sah ihn ausdruckslos an. »Meine Männer und ich werden helfen.«
»Es ist eine schlimme Nacht.« Calhoun trat zur Tür, öffnete sie und ging hinaus. White Hand folgte ihm und schloß die Tür hinter sich. Bereits Sekunden später waren die beiden Gestalten weiß vor Schnee.
Calhoun sagte: »Es ist wirklich eine schlimme Nacht, White Hand.«
»Aber ich bekomme viel dafür. Das hast du selbst gesagt, Sepp Calhoun.«
»Glaubst du wirklich, daß du es schaffen kannst?«
White Hand nickte. »Ausgezeichnet. Auf der einen Seite zur Einfahrt zum Nevada Pass ragt eine Felswand in die Höhe und auf der anderen geht es steil in die Tiefe. Dort findet ihr genügend Felsen, hinter denen ihr euch verbergen könnt. Eure Pferde könnt ihr bereits einen halben Kilometer
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