Nevada Pass
Dank.« Claremont stieg die restlichen Stufen hinunter und blickte den Zug entlang: Bellew war dabei, sein Pferd zu satteln. Er rief ihm zu: »Geben Sie dem Suchtrupp Bescheid, daß die beiden in der Stadt sind.«
Bellew salutierte lässig.
O'Brien und Pearce verließen die Bar, und Pearce stopfte die Steckbriefe in den Umschlag zurück. Plötzlich ertönte ein Wutschrei, und die beiden Männer blieben abrupt stehen und blickten in die Ecke des Raumes, aus der er gekommen war: Am Tisch der Kartenspieler hatte sich ein sehr großer Mann mit einem eindrucksvollen roten Bart erhoben und über den Tisch gebeugt. Er trug eine Moleskinhose und ein Jackett aus dem gleichen Material, die aussahen, als habe er sie von seinem Großvater geerbt. In seiner Rechten hielt er einen Peacemaker Colt, während er mit der anderen Hand das linke Handgelenk eines Mannes, der ihm gegenüber saß, auf die Tischplatte drückte. Das Gesicht des sitzenden Mannes wurde weitgehend von seinem hochgeschlagenen Schafspelzkragen und einem tief in die Stirn gezogenen, schwarzen Stetson verborgen.
Der Mann mit dem roten Bart sagte: »Jetzt reicht's mir, mein Freund.«
Pearce trat an den Tisch und fragte freundlich: »Was reicht Ihnen, Garritty?«
Garritty schob den Peacemaker vor, bis die Mündung nur noch knapp zehn Zentimeter vom Gesicht des sitzenden Mannes entfernt war. »Die Falschspielerei, Marshal. Der Mistkerl hat mir in fünfzehn Minuten hundertzwanzig Dollar abgeknöpft.«
Pearce blickte mehr automatisch als aus Neugier kurz über die Schulter, als die Tür aufging und Colonel Claremont eintrat. Claremont blieb kurz stehen, lokalisierte sofort den augenblicklichen Mittelpunkt des Geschehens und schritt unverzüglich auf ihn zu – die Rolle eines Statisten oder Zuschauers zu spielen entsprach nicht seinem Wesen. Pearce wandte seine Aufmerksamkeit wieder Garritty zu.
»Vielleicht ist er nur ein guter Spieler.«
»Gut?« Das rotbraune Gestrüpp verbarg soviel von Garritys Zügen, daß man über seinen Gesichtsausdruck nur Vermutungen anstellen konnte. »Er ist brillant – zu brillant, um ehrlich zu sein. Ich kann das beurteilen. Sie wissen, daß ich schon seit fünfzig Jahren Karten spiele, Marshal.«
Pearce nickte. »Sie haben mich zu oft arm gemacht, als daß ich mich noch einmal mit Ihnen an einen Pokertisch setze.«
Garritty bog die linke Hand des sitzenden Mannes, der sich vergeblich zu wehren versuchte, zur Seite, bis sie mit dem Rücken auf der Tischplatte lag und die Karten in der Hand sichtbar wurden: Es waren lauter Buben, Damen und Könige, und als höchste ein Herzas.
Pearce sagte: »Sieht doch ganz astrein aus.«
»Astrein dürfte wohl kaum die richtige Bezeichnung sein!« Garritty wies mit dem Kinn auf die Spielkarten, die auf dem Tisch lagen. »Ungefähr in der Mitte, Marshal –«
Pearce nahm die Karten und blätterte sie durch. Plötzlich hielt er inne und hob die rechte Hand: ein weiteres Herzas! Pearce legte es mit der Rückseite nach oben auf den Tisch, nahm dem Fremden sein Herzas aus der Hand und legte es, ebenfalls mit der Rückseite nach oben, neben das andere: Beide Rückseiten waren identisch. Pearce sagte: »Zwei gleiche Spiele. Wer hat sie mitgebracht?«
»Na, raten Sie mal!« Garrittys Stimme hatte einen Unterton, der das Schlimmste befürchten ließ.
»Ein alter Trick«, sagte der sitzende Mann. Seine Stimme war leise und angesichts der höchst gefährlichen Situation, in der er sich befand, bemerkenswert ruhig: »Jemand hat das zweite As eingeschmuggelt. Jemand, der wußte, daß ich das As habe.«
»Wie heißen Sie?«
»Deakin. John Deakin.«
»Stehen Sie auf, Deakin.« Der Mann gehorchte. Pearce ging gemächlich um den Tisch herum, bis er Deakin gegenüberstand. Die beiden Männer waren gleich groß. »Waffe?« fragte Pearce.
»Keine Waffe.«
»Sie überraschen mich. Ich hätte gedacht, eine Waffe sei für einen Mann wie Sie lebensnotwendig – auf jeden Fall zur Selbstverteidigung, wenn schon zu nichts anderem.«
»Ich bin kein Freund von Gewalttätigkeiten.«
»Ich habe aber das Gefühl, daß Sie in Kürze welche zu spüren bekommen werden.« Mit der rechten Hand hob Pearce die linke Seite von Deakins Schafpelzmantel an, während seine freie linke Hand in die Innentasche des Mantels glitt und nach einigen Sekunden mit einem interessanten Sortiment von Buben, Damen, Königen und Assen wieder auftauchte.
»Junge, Junge«, murmelte O'Brien. »Das nenn' ich aber aus voller Brust
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