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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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frischen Karalinensaft oder Bänder für ihr Haar kaufen, aber sie dürfe nicht hinter die Budenreihe dort gehen. »Ja, Papa«, versprach sie ihrem Vater hastig; dass sie möglichst schnell zum Basar wol l te, war nicht zu überhören. Der Kundschafter schaute herüber zu dem Haufen Jungen neben mir und warf uns geistesabwesend einen warnenden Blick zu; dann stieg er die Treppe hinauf und betrat das Hauptquartier des Kommandanten.
    Seine Tochter stand allein auf der Straße.
    Ich wusste, dass meine Schwestern in einer solchen S i tuation furchtbare Angst bekommen hätten. Meine Eltern hätten Elisi und die kleine Yaril niemals ohne eine e r wachsene Aufsichtsperson in einer Garnisonsstadt auf der Straße zurückgelassen. Ich fragte mich, ob sich ihr Vater denn keine Sorgen um sie machte. Doch als sie lächelnd die Straße hinunterschlenderte, an den Jungen vorbei, und auf die Buden und Stände auf dem Mark t platz gleich hinter dem Tor des Außenpostens zustrebte, sah ich, dass sie nicht im Geringsten verängstigt oder eingeschüchtert war. Sie ging mit Selbstbewusstsein und Anmut, beseelt von der Vorfreude darauf, die zahlreichen Köstlichkeiten und Genüsse des Marktes zu erkunden. Mein Blick folgte ihr.
    »Schau sie dir nur an«, zischte einer der älteren Ju n gen seinem Freund zu.
    Raven grinste wissend. »Das Maultier ist gezähmt. Siehst du den eisernen Reif um ihren Hals? Solange sie den trägt, wirken ihre Talismane nicht.«
    Ich schaute von einem lüstern blickenden Gesicht zum andern. Ich war verwirrt. »Ihre Talismane?«, fragte ich.
    Es schmeichelte mir, dass Raven sich dazu herabließ, mir zu antworten. »Kleine silberne Klimperdinge, eing e woben in ihr Haar, die sie schützen sollen. Flachlandm a gie. Aber jemand hat sie gezähmt. Leg einer Flachländ e rin ein eisernes Halsband an, und sie kann ihre Talismane nicht gegen dich einsetzen. Das Mauleselchen ist reif zum Pflücken.«
    »Zum Pflücken?«, fragte ich keck. Es war nirgendwo ein Maulesel zu sehen, nur ein junges Mädchen, das an uns vorbeiging. Ich war verwirrt und wollte eine Erkl ä rung. Damals wusste ich noch nicht, dass die älteren Ju n gen mir meine vorwitzige Frage übelnehmen würden, dass sie sie als anmaßend empfinden würden, als ein Ze i chen dafür, dass ich mich ihnen, den Söhnen gemeiner Soldaten, nicht nur gleichgestellt fühlte, sondern überl e gen. Raven lachte wiehernd, und dann sagte er mit er n ster Stimme: »Nun, reif genug, um sich ihre Freunde selbst auszusuchen. Hast du gesehen, wie sie dich ang e schaut hat? Sie möchte deine Freundin sein. Und du möchtest, dass sie unsere Freundin ist, nicht wahr, weil wir auch deine Freunde sind. Warum gehst du nicht ei n fach zu ihr, nimmst sie bei der Hand und bringst sie zu uns?«
    Ravens Stimme war zuckersüß, aber ich wusste nicht so recht, ob ich seine Worte als Kompliment oder als Herausforderung zu einer Mutprobe auffassen sollte. Während er sprach, machte er den anderen Jungen Ze i chen, woraufhin die sich ein Stück tiefer in die Gasse zwischen den Gebäuden zurückzogen. Ich schaute noch etwas länger zu ihm auf. Seine Wangen waren mit Bar t flaum bedeckt, und in den feinen Härchen hatte sich der Staub der Straße festgesetzt. Seine Mundwinkel waren dreckverkrustet. Sein Haar war zottig, seine Kleidung starrte vor Schmutz. Aber er war älter als ich, und er ha t te mit einem Messer gespielt, und ich wollte mich unb e dingt in seinen Augen auszeichnen.
    Das Mädchen bewegte sich wie eine Gazelle, die zur Wasserstelle geht. Es war zielstrebig, dabei aber gleic h zeitig wachsam, und es bekam alles mit, was um es he r um vor sich ging. Es schaute uns nicht an, aber ich wus s te, dass es uns gesehen hatte. Wahrscheinlich wusste es, dass wir über es redeten. Ich rannte ein paar Schritte aus der Gasse auf die Straße, um es abzufangen, und als es mich anschaute, lächelte ich es an. Es lächelte zurück. Das war alles, was ich an Ermutigung brauchte. Ich lief dem Mädchen entgegen, und es blieb auf der Straße st e hen, um zu hören, was ich ihm zu sagen hatte.
    »Hallo. Meine Freunde möchten, dass du sie kenne n lernst«, sagte ich treuherzig. Ich hatte keine Ahnung, dass ich dabei war, sie in eine böse Falle zu locken. Ich glaube, sie wusste es. Sie schaute an mir vorbei zu den Jungen, die hinter der Häuserecke herumlungerten, und dann wandte sie sich wieder mir zu. Ich glaube, sie sah, dass ich arglos war, dass ich keine Ahnung hatte, was die Jungen vorhatten.

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