Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
Lippen. »Zumindest war das gestern so, als Janie mir diese Nachricht hinterlassen hat. Sie hat gesagt, sie würden ihre Handys wegwerfen, deshalb habe ich jetzt keine Möglichkeit mehr, sie zu erreichen. Und das ist der Punkt, an dem ich deine Hilfe gebrauchen könnte.«
»Meine Hilfe? Ich kann mich nicht einmal an sie erinnern.«
»Ich glaube, wenn wir alle unsere Puzzleteile zusammenlegen, fällt uns schon eine Möglichkeit ein. Hier, setz dich und ich werde versuchen, es dir zu erklären.« Liz nimmt auf der Kante des Bettes Platz, das mit einer weißen Decke und tonnenweise weißen Kissen bedeckt ist. Ty nimmt sich den Stuhl, der vor einem kleinen Schreibtisch steht, dreht ihn um und setzt sich rittlings darauf. Ich nehme in einem braun gestreiften Ohrensessel Platz.
»Erzähl mir zuerst, was du weißt«, sagt Liz. »Lass nichts aus, ganz egal, wie unbedeutend es dir erscheinen mag.«
Also berichte ich ihr, was wir wissen, was wir herausfinden konnten und was wir uns zusammengereimt haben. Ein paar Sachen erwähne ich dabei jedoch nicht. Ich erzähle ihr nichts von der Waffe in meinem Rucksack oder dass Michael Brenner gestorben ist, nachdem ich ihn niedergeschlagen habe. Wenn meine Tante das wüsste, würde sie dann ihre Meinung ändern? Wäre sie dann immer noch so sicher, dass ich unschuldig bin?
»Dann werde ich mal erzählen, was ich weiß«, sagt sie, als ich fertig bin. »Vielleicht hilft es dir dabei, dich zu erinnern. Deine Eltern arbeiten für eine Firma namens Z-Biotech. Kommt dir das vertraut vor?«
Ja! Ich richte mich auf und bin überzeugt davon, dass mein Gedächtnis endlich zurückkommt. Aber dann … »Ich habe es in den Nachrichten gehört, als wir hierher gefahren sind.«
»Weißt du auch, was deine Eltern arbeiten?«
»Im Radio hieß es, dass sie Mikrobiologen sind.«
»Eigentlich sind deine Eltern Virologen. Das bedeutet, dass sie Viren erforschen. Um ehrlich zu sein, verstehe ich nicht so ganz, was sie machen. Das tut kaum jemand. Aber sie sind hervorragende Wissenschaftler.« Sie seufzt theatralisch. »Ich habe am College ein paar naturwissenschaftliche Kurse belegt, aber offensichtlich ist meine Schwester diejenige in der Familie, die die ganze Intelligenz abgekriegt hat. Jedenfalls ist vor zwei Jahren auf einer entlegenen Farm im Osten Oregons ein Mädchen gestorben. Sie war erst neunzehn. Auf dem Weg zu ihrer Beerdigung wurde dann auch noch ihr Freund krank. Schwer krank. Er starb am Straßenrand, bevor der Krankenwagen auftauchte.«
Sie holt tief Luft. »Im Autopsiebericht stand, dass er im Grunde in seinem eigenen Blut ertrunken ist.«
30
TAG 2, 17:22 UHR
M eine Tante betrachtet aufmerksam mein Gesicht. »Erinnerst du dich bis hierher an irgendetwas?«
Eine Krankheit, bei der die Leute in ihrem eigenen Blut ertrinken? Ich schüttle den Kopf. Nein, daran erinnere ich mich nicht. Glaube ich zumindest. Es ist zu schwer zu beschreiben, welche Gefühle sich bei mir entwickeln. Als würde man versuchen, sich einen Traum in Erinnerung zu rufen, den man eine Woche vorher geträumt hat. Man hat ihn vollkommen vergessen und dann beschwört der Flügelschlag eines Vogels oder das Heruntersteigen einer Eisentreppe einen Teil des Traumes wieder herauf und holt ihn in die Realität. Doch nur ein paar Sekunden lang sieht man es ganz klar vor sich. Der Rest bleibt im Verborgenen, und je mehr man versucht, sich daran zu erinnern, desto weniger klappt es.
»Deine Eltern fanden heraus, dass es sich dabei um einen neuen Erregerstamm des Hantavirus handelt, der durch Feldmäuse übertragen wird.« Sie sieht mich aufmerksam an. »Klingt das vertraut für dich? Hantavirus?«
Langsam schüttle ich den Kopf. Vertraut ist hier nicht das richtige Wort. Es klingt eher bedrohlich.
»Die Mäuse haben also Menschen gebissen?«, fragt Ty.
»Nein«, sagt Liz. »Laut Janie machen Feldmäuse im Grunde nur drei Dinge: fressen, kacken und sich fortpflanzen. Und das Hantavirus weitergeben, wenn sie kämpfen oder sich paaren. Vor zwei Jahren hat es viel geregnet, was zu einer enormen Weizenernte geführt hat. Dadurch kam es praktisch zu einer Explosion der Feldmauspopulation. Als es heiß wurde, trocknete der Kot der Mäuse und in den Scheunen und Farmen im Osten Oregons wurde dieser pulverisierte Kot dann aufgewirbelt und eingeatmet. Acht Menschen hatten das Pech, die winzigen Partikel, die das Hantavirus enthielten, zu inhalieren. Diese Menschen sind gestorben.«
»Alle?«, wollte Ty wissen.
Liz
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