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Never Knowing - Endlose Angst

Never Knowing - Endlose Angst

Titel: Never Knowing - Endlose Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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hoffte, es sei Evan, aber es war Allys Lehrerin.
    »Sara, haben Sie noch etwas Zeit für ein Gespräch, wenn Sie Ally heute abholen?«
    »Was ist los?«
    »Ally hatte eine … Meinungsverschiedenheit mit einer Klassenkameradin, die versucht hat, ihre Malfarben zu benutzen, und ich würde gern mit Ihnen darüber reden.«
    Na großartig, genau das, was ich im Moment brauchte.
    »Ich werde mit ihr darüber reden, dass man auch mal was abgeben muss, aber vielleicht könnten wir wann anders …«
    »Ally hat das Mädchen geschubst – so kräftig, dass es hingefallen ist.«
     
    Das war der Moment, in dem ich Sie angerufen habe. Ich kann Allys Lehrerin unmöglich gegenübertreten, ohne zuerst mit Ihnen gesprochen zu haben. Ich muss erst mal verdauen, dass alles lauthals herausposaunt worden ist. Ich kann diese kranken Kommentare nicht abschütteln, diesen widerlichen Anruf. Und ich weiß, dass die Lehrerin vorschlagen wird, Ally noch einmal zum Schulpsychologen zu schicken, damit sie lernt, mit ihrer Wut umzugehen. Sie hatte vorher schon Probleme, hat andere Kinder angeschrien, mit ihren Lehrern gestritten, aber das passiert nur, wenn sie sich bedrängt fühlt. Ihre Lehrerin hat auch gesagt, dass Ally Schwierigkeiten hat, von einem Fach zum nächsten umzuschalten, das sei der Moment, in dem sie am meisten Stress macht. Ich versuchte zu erklären, dass mit ihr alles in Ordnung ist – sie mag nun mal einfach keine Veränderungen. Aber die Lehrerin hat immer weiter gebohrt, ob es zu Hause vielleicht irgendwelche Probleme gebe. Ich hoffe nur, dass sie nichts davon gehört hat, dass der Campsite-Killer mein Vater ist.
    Ich hasse es, wenn ich so aufgewühlt bin, hasse es, wie mein Körper reagiert. Meine Kehle und die Brust werden so eng, dass ich kaum atmen kann, meine Herzfrequenz schießt gen Himmel, mein Gesicht fühlt sich heiß an, ich fange an zu schwitzen, und meine Waden schmerzen vom unverbrauchten Adrenalin. Es fühlt sich an, als würde eine Bombe in meinem Kopf explodieren, und meine Gedanken fliegen wer weiß wohin.
    Früher haben wir oft darüber gesprochen, dass meine Angst dadurch hervorgerufen wird, dass ich als Adoptivkind aufgewachsen bin und mein Vater sehr distanziert war. Mein Unterbewusstsein hat Angst, dass ich noch einmal verlassen werde, so dass ich mich niemals sicher fühle. Aber ich glaube, es steckt noch mehr dahinter. Als ich mit Ally schwanger war, habe ich gelesen, dass man ruhig bleiben muss, damit das Baby die negative Energie nicht aufnimmt. Ich habe neun Monate im Bauch einer Frau verbracht, die permanent Angst hatte. Ihr Grauen ist in mein Blut eingeströmt, in meine Zellen. Ich bin in Angst geboren worden.

5. Sitzung
    Als ich mit der ersten Therapie anfing, wollte ich am liebsten gar nicht über meine Kindheit sprechen. Damals sagten Sie: »Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten.« Dann erzählten Sie mir, dass das ein Zitat von Otto Frank sei, Anne Franks Vater, und dass Sie ihr Haus in Amsterdam besucht hätten. Sie waren kurz weg, um uns einen Kaffee zu holen, und ich weiß noch, wie ich dasaß, mir all die Fotos an den Wänden anschaute, die Kunstwerke, die Sie von Ihren Reisen mitgebracht hatten, die Schnitzereien und Statuen, die Sie sammeln, die Bücher, die Sie geschrieben haben, und dachte, dass Sie die coolste Frau sind, die ich je getroffen habe.
    Ich hatte vorher noch nie jemanden wie Sie kennengelernt. Wie Sie sich kleideten, diese kunstvolle Eleganz, lässig-intellektuell, ein Schaljäckchen locker über den Schultern, das graue Haar in lauter wilden Stufen, als würden Sie nicht nur zu Ihrem Alter stehen, sondern als seien Sie
stolz
darauf. Die Art, wie Sie die Brille abnahmen, wenn Sie sich vorbeugten, um mich etwas zu fragen, wie Sie mit dem Finger auf ihren windschiefen Becher trommelten – den Sie in einem Töpferkurs gemacht hatten, weil Sie sich langweilten und weil es wichtig sei, niemals aufzuhören zu lernen. Ich studierte jede Bewegung, sog alles in mich auf und dachte:
Das ist eine Frau, die sich vor nichts fürchtet. So will ich auch sein
.
    Darum war ich so überrascht, als Sie mir erzählten, dass Sie ebenfalls aus einer dysfunktionalen Familie kommen und dass Ihr Vater Alkoholiker war. Was ich am meisten bewunderte, war, dass Sie keinerlei Groll oder Ärger hegten – Sie haben mit Ihrem Mist abgeschlossen und sich anderen Dingen zugewandt. Sie haben Ihre Zukunft gestaltet. An jenem Tag ging ich hier voller Hoffnung weg,

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