Never Knowing - Endlose Angst
die Hand auf dem Tisch zur Faust, als koste es sie ihre ganze Kraft, mir nicht das Telefon aus der Hand zu reißen.
»Du kannst mich ja erst einmal John nennen.«
Ich sagte nichts.
Er sagte: »Hast du mein Geschenk erhalten?«
»Ja. Woher haben Sie diese Nummer?«
»Aus dem Internet.«
Natürlich. Mein Geschäft war auf einer Website aufgelistet. Darüber hatte er mich vermutlich überhaupt erst gefunden. Ich dachte an Evans Warnung:
Bist du sicher, dass du deine Handynummer da angeben willst?
Aber dazu war es jetzt zu spät.
»Gefallen dir die Ohrringe?«
»Wo haben Sie die her?« Ich wusste, dass ich wütend klang, aber ich konnte nicht verhindern, dass meine Gefühle sich in meiner Stimme widerspiegelten. Ich warf Billy einen Blick zu, und er formte mit den Lippen
Machen Sie weiter
. Sandy schaute ich nicht an.
John sagte: »Karen hat sie mir geschenkt.« Ich schloss die Augen gegen das Bild, das seine Worte hervorriefen. Er sagte noch etwas, aber das ging in dem Dröhnen eines vorbeifahrenden Fahrzeugs unter.
Er sagte: »Tut mir leid wegen dem Krach im Hintergrund. Ich sitze in meinem Truck.«
»Wo sind Sie?«
Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »So läuft das nicht, Sara. Ich weiß, dass du wahrscheinlich die Bullen gerufen hast und dass dein Festnetz abgehört wird. Aber ich werde nichts preisgeben, das ihnen weiterhelfen könnte. Selbst wenn sie diesen Anruf zurückverfolgen, ich kenne das Landesinnere wie meine Westentasche. Sie werden mich niemals finden.«
Ich starrte die beiden Polizisten an, die bei mir am Tisch saßen. Wusste er tatsächlich, dass ich sie angerufen hatte, oder bluffte er nur? Mein Puls pochte laut in meinen Ohren. Ich musste rasch antworten. »Ich habe niemandem davon erzählt. Ich dachte, es sei nur ein blöder Streich.«
Er schwieg kurz, dann sagte er: »Vermutlich hast du ein paar solcher Anrufe bekommen. Deine Familie muss ziemlich aus dem Häuschen sein. Hast du den Zeitungen deswegen erzählt, Karen Christianson sei nicht deine richtige Mutter?«
Mein Magen verkrampfte sich angesichts seines vertraulichen Tonfalls, der beiläufigen Art und Weise, wie er meine Familie erwähnte. Dann begriff ich, dass ich einen Ausweg entdeckt hatte.
»Sie ist
nicht
meine Mutter. Es ist nur ein Gerücht, das irgendjemand in die Welt gesetzt hat. Ich habe Ihnen gesagt …«
»Ich habe dein Foto bei Facebook gesehen. Du bist meine Tochter.«
Mein Foto auf
Facebook
. Wie viele andere hatte er gesehen? Wusste er von Ally? Meine Gedanken überschlugen sich, als ich versuchte, mich zu erinnern, was ich im Profil angegeben hatte.
Er sagte: »Und ich habe Julias Foto in der Zeitung gesehen. Ich weiß, dass sie Karen Christianson ist. Sie hat mich am Kopf erwischt.« Im letzten Satz schwang eine Art widerwilliger Respekt mit.
»Geht es Ihnen darum? Versuchen Sie,
sie
zu finden?«
»Ich habe kein Interesse mehr an ihr.«
»Was wollen Sie
dann
?«
»Ich muss mit dir sprechen, wann immer ich den Drang dazu verspüre. Es ist die einzige Möglichkeit, wie ich vielleicht aufhören kann.«
»Was … womit aufhören?«
»Menschen etwas anzutun.«
Ich schnappte nach Luft, während meine Gedanken auseinanderstoben.
Er sagte: »Ich muss jetzt Schluss machen. Nächstes Mal reden wir weiter. Nimm dein Telefon immer mit.«
»Ich kann nicht immer rangehen, wenn Sie …«
»Du musst.«
»Aber manchmal kann ich nicht. Manchmal bin ich beschäftigt, und …«
»Wenn du nicht rangehst, muss ich etwas anderes machen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich muss
jemanden
finden.«
»Nein! Nein, tun Sie das nicht. Ich werde das Telefon immer eingeschaltet lassen …«
»Ich bin kein schlechter Mensch, Sara. Du wirst schon sehen.« Er legte auf.
Seitdem hat er nicht wieder angerufen. Ich weiß, dass ich froh sein sollte – keine Nachrichten sind gute Nachrichten, ist es nicht so? Aber ich laufe nur noch in einem Zustand permanenter Furcht durch die Gegend. Als Erstes habe ich Facebook überprüft. Zum Glück konnte er nur mein Profilbild sehen, da ich alles Übrige auf privat gesetzt hatte, aber ich habe trotzdem alles gelöscht. Billy und Sandy sind bei mir geblieben, bis ich mich wieder beruhigt hatte, oder zumindest so weit beruhigt, wie es angesichts dessen, was gerade geschehen war, möglich war. Ehe sie gingen, haben wir noch besprochen, was ich tun soll, falls er noch einmal anruft. Sie wollen, dass ich weiterhin leugne, der Polizei irgendetwas erzählt zu haben. Billy sagte, je
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