Never Knowing - Endlose Angst
war von außen nur schwer zu öffnen, aber wenn man groß genug war, konnte man drübergreifen und es schaffen.
Als Billy sich fertig umgesehen hatte, brachte er mich dazu, mich hinzusetzen und eine Liste zu machen, wen ich als Nächstes anrufen sollte, wo ich Zettel aufhängen und auf welchen Websites ich eine Suchanzeige posten sollte. Zuerst weigerte ich mich, wollte nur raus und anfangen zu suchen, aber Billy sagte, dass die Liste Zeit sparen würde und dass ich Elch keinen Gefallen damit täte, »herumzurennen wie ein kopfloses Huhn«. Schließlich schnappte ich mir Papier und Stift und fing mit der Liste an. Mein Herzschlag beruhigte sich mit jedem Stichwort, das ich hinzufügte.
Billy schlug vor, ich könnte versuchen, John anzurufen, um herauszufinden, ob er auf der Insel war. Wir wussten nicht, ob er immer noch dasselbe Telefon benutzte, aber ich wagte einen Versuch. Ich bekam jedoch nur die Ansage: »Der Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar.« Die Polizei würde einen Wagen in die Straße stellen, bis wir herausgefunden hatten, ob John auf der Insel war. Als Billy wieder zum Revier zurückfuhr, rief ich Lauren an. Sie kam herüber, und wir machten Zettel, die wir überall aufhängten. Doch niemand rief an.
Als es Zeit war, Ally von der Schule abzuholen, wusste ich nicht, was ich ihr erzählen sollte. Ich versuche, sie nicht zu belügen, aber das einzige andere Mal, als Elch in einem Park weggelaufen war, ist sie ausgerastet und hat Evan gebissen, als er versuchte, sie davon abzuhalten, ihm über die Straße nachzulaufen. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass ich Elch dieses Mal finden würde, ehe ich ihr die Wahrheit sagen musste. Wenn er allerdings nicht nach Hause kommt … Ich darf nicht einmal daran denken. Ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe – ich weiß
nie
, ob ich das Richtige tue –, aber ich erzählte Ally, dass Elch zur Kontrolle beim Tierarzt sei und über Nacht dort bleiben würde. Sie wollte ihn besuchen, aber ich redete ihr das aus und lenkte sie den ganzen Nachmittag mit Filmen und Spielen ab.
Ally schlief rasch ein, aber ich blieb stundenlang wach und machte mir Sorgen, wo Elch stecken könnte. Ich fürchtete mich davor, wer ihn haben könnte. Und warum.
9. Sitzung
Ich bin heute so deprimiert, aber ich hoffe, das Reden mit Ihnen hilft mir. Außer mit Evan oder Billy sind Sie die einzige Person, mit der ich im Moment reden kann, zumindest über das, was wirklich los ist. Ich habe den ganzen Morgen im Haus gehockt und auf unseren Termin gewartet. Es ist nicht gut, wenn ich zu viel Zeit habe.
Ich kann nicht anders, ich muss immer wieder auf die Website über John gehen und mir die Bilder von seinen Opfern und ihren Familien ansehen. Anschließend denke ich an sie, frage mich, wie sie gelebt haben, was aus ihnen hätte werden können. Ich versteife mich auf kleine Details, wie die Muschelkette eines Mädchens, die nie gefunden wurde. Ob John sie hat? Ihr Freund, den John von hinten in den Kopf geschossen hat, hatte gerade ein neues Geländemotorrad zum Schulabschluss bekommen. Der Junge konnte alles Mögliche reparieren und brachte gern alte Wagen wieder in Schuss. Sein Dad hat immer noch das Auto, an dem er gearbeitet hatte, als er umgebracht wurde. Der Vater weigert sich, es fertigzumachen, also steht es in der Garage, die Werkzeuge immer noch drum herum ausgebreitet, so wie der Junge sie hinterlassen hat. Ich musste ewig weinen bei diesem Bild, ein aufgebockter Wagen und eine Familie, die nie wieder heil werden.
Ich stelle mir den Moment vor, in dem ihre Familien die Nachricht erfuhren. Dann quäle ich mich selbst damit, dass ich mir vorstelle, Evan oder Ally würde etwas Schreckliches zustoßen. Ich bin sicher, dass der Schmerz mich umbringen würde. Wie können die Eltern dieser Opfer jeden Morgen aufstehen? Wie können sie weiterleben?
Wohin ich auch gehe, sehe ich Tod – eine Nebenwirkung meiner permanenten Beschäftigung mit Serienmördern. Am meisten quält mich der Gedanke, wie
schnell
es über diese Menschen hereingebrochen ist. Ich meine nicht nur Johns Opfer. Ich meine alle ermordeten Menschen, von denen ich gelesen habe. Sie lebten einfach so ihr Leben, schliefen, fuhren herum, joggten oder hielten vielleicht nur an, um einem Fremden zu helfen, und dann, mir nichts, dir nichts, war ihr Leben vorbei. Manchmal allerdings nicht, manchmal lebten sie noch ein paar Tage. Einige von den Sachen, die diese Killer machen … ich kann nicht aufhören, an
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