Never Knowing - Endlose Angst
eine andere Mutter irgendwo da draußen, die gerade erfahren hatte, dass ihre Tochter verschwunden war. Was hatte sie wohl getan, um das Mädchen zu trösten, als es klein war? Was würde die Frau wohl denken, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter tot war, weil mein Handy auf Vibrieren gestellt war?
Als Ally eingeschlummert war, stand ich vorsichtig aus ihrem Bett auf. Elchs Kopf schoss in die Höhe, aber ich bedeutete ihm zu bleiben, und er ließ die Schnauze wieder auf Allys Barbie-Steppdecke sinken. Im Arbeitszimmer rief ich Google auf und tippte
Danielle Sylvan
ein. Ich hoffte, ich würde nichts finden, aber ich stieß auf einen Artikel, wo sie ehrenamtlich bei einem Leseförderungsprogramm mitgearbeitet hatte. Auf dem Foto strahlte sie übers ganze Gesicht, während sie ein paar Kindern den Arm voller Bücher entgegenstreckte. Der Anblick brachte mich beinahe um. Das tiefrote Haar hob sich kräftig von der blassen Haut ab. Ich stellte mir diese Haut im Tod noch bleicher vor, und mein Magen verkrampfte sich. Ich schickte Billy den Artikel. Er hatte einen BlackBerry und würde ihn sofort erhalten. Meine Nachricht lautete: »Haben Sie sie gefunden?« Ich wartete ewig und klickte alle paar Sekunden auf den »Senden/Empfangen«-Button. Endlich, nach zehn Minuten, antwortete er: »Noch nicht.«
Ich schaltete den Computer aus und ging ins Bett, das Handy auf dem Nachttisch. Wieder wälzte ich mich stundenlang hin und her.
Es ist deine Schuld, alles ist deine Schuld. Deine Schuld.
Am nächsten Morgen war Ally ziemlich unleidlich. »Ich will meinen Regenmantel nicht anziehen.« »Ich will die blauen Socken anziehen, nein, die gelben.« »Wann kommt Evan nach Hause?« »Warum kann Elch nicht mitkommen?« »Ich kann keine Cornflakes mehr sehen.« Endlich hatte ich sie angezogen, und wir machten uns auf den Weg. Wir waren etwa eine Meile von ihrer Schule entfernt, als das Handy in meiner Handtasche klingelte. Ally, die in ihrem Kindersitz sang und ihren Kopf im Takt mit den Scheibenwischern hin und her schwang, begann, lauter zu singen. Ich griff in die Tasche und holte das Handy heraus. Sobald ich Johns Nummer erkannte, geriet ich in Panik.
»Allymaus, das ist ein wichtiger Kunde, da musst du ganz leise sein, okay?«
Sie sang weiter.
Ich hob meine Stimme, als das Telefon erneut klingelte. »Ally, es
reicht
.«
Sie sah mich an. »Man darf beim Autofahren nicht telefonieren, Mommy, das ist gefährlich.«
»Du hast recht, und darum hält Mommy jetzt auch an.« Ich lenkte den Cherokee rasch auf den Seitenstreifen und hielt an. »Er braucht wirklich meine Hilfe, du musst also superleise sein, okay?« Der Regen prasselte auf uns herunter, während Ally aus dem Fenster starrte und Umrisse auf die beschlagene Scheibe malte. Sie war sauer auf mich, aber immerhin war sie still.
Hastig ging ich ans Telefon. »Hallo?«
»Sara.« Seine Stimme war leise und heiser. Als hätte er geschrien.
»Es tut mir wirklich leid, was passiert ist. Ich habe einen Fehler gemacht, aber es wird nicht wieder vorkommen, okay? Ich verspreche es.«
Ich hielt den Atem an und wappnete mich gegen einen Wortschwall, doch er schwieg.
Damit Ally nichts verstand, ließ ich das Fenster herunter und senkte die Stimme. »John, in den Nachrichten kam gestern Abend etwas über eine vermisste Frau.«
Er schwieg weiterhin. Im Hintergrund hörte ich Verkehrslärm, aber es gab noch ein anderes Geräusch – ein stetiges Pochen. Ich spitzte die Ohren. Neben mir begann Ally mit den Beinen zu zappeln. Ich klappte das Handschuhfach auf und fand Block und Stift. Ich reichte beides Ally und bedeutete ihr, mir ein Bild zu malen. Sie ignorierte den Block und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich warf ihr einen warnenden Blick zu, und sie starrte aus dem Fenster.
Ich sagte: »Bist du noch dran?« Das Pochen im Hintergrund wurde lauter.
»Du hättest mich nicht ignorieren dürfen. Ich brauche dich.«
»Es tut mir leid. Aber jetzt bin ich da. Kannst du mir sagen, wo sie ist?«
Seine Stimme war ausdruckslos. »Sie ist bei mir.«
Hoffnung regte sich – bis ich begriff, dass er nicht gesagt hatte, sie würde noch leben.
»Geht es ihr gut?«
Neben mir trat Ally gegen das Armaturenbrett. Ich packte ihre Füße und warf ihr einen weiteren warnenden Blick zu. Sie riss ihren Fuß los und begann, in ihrem Sitz auf und ab zu hüpfen. Ich umklammerte das Telefon mit einer Hand. »Ally, gib eine Minute Ruhe, oder … oder du darfst am Sonntag nicht bei Meghan
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