Never tell a lie - Lügen können töten - Psychothriller
Telefon. Der Ton hallte im Schacht wider.
Ivy versuchte, nicht darauf zu achten. Sie tastete nach dem nächsten Kantholz und fand es. Das Telefon klingelte wieder.
Nun schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
Ivy lockerte die Segeltuchrolle und zog sie ein paar Zentimeter nach unten. Der neue Text auf dem Anrufbeantworter wurde abgespielt, und Ivys Stimme versicherte der Welt, dass es ihr hervorragend ging und dass sich noch nichts getan hatte.
»Ivy, wo, in aller Welt, bist du?« Das war Jody, die den Anrufbeantworter anschrie. »Du musst doch wissen, dass mich das total verrückt macht. Hörst du diesen Anruf überhaupt ab?« Sie schwieg eine Weile. »Der Teufel soll dich holen!«
Im Hintergrund hörte Ivy Rikers schrilles Geschrei.
»Wenn mein Sohn zu einem jugendlichen Straftäter heranwächst, ist das deine Schuld. Würdest du bitte endlich den verdammten Hörer abnehmen?«
Hier bin ich , hätte Ivy am liebsten zurückgeschrien.
»Ehrlich, du kannst so eine Nervensäge sein«, schimpfte Jody und legte auf.
Konzentriere dich!
Ivys verkrampfte Hände waren verschwitzt und glitschig, wie sie es vom Seilklettern mit Coach Reiner kannte, besonders wenn sie am oberen Ende des Seils angekommen war und nach unten blickte.
Sie stellte sich vor, wie Melinda mit dem Mann oder
der Frau am Empfang redete und Ivys Führerschein vorzeigte, wie sie sich auf ihre Verkleidung verließ, um die Labortechnikerin zu täuschen.
Bald musste sie an der Öffnung des Speiseaufzugs im ersten Stock angekommen sein. Sie starrte in den tintenschwarzen Schacht hinunter, schnappte nach Luft und erschauerte. Panik erfasste sie. Ein Fuß rutschte von dem Kantholz ab, gleich darauf der zweite. Mit einem Ruck stürzte sie in die Tiefe und hing im nächsten Augenblick mit den Achseln in der Lederschlinge.
Ihre Beine schlugen gegen den rauen Putz der Wände, und ihre Schreie hallten durch den Schacht. Das harte Leder schnitt ihr in die Achselhöhlen.
Aber die Segeltuchrolle hatte sich festgezogen und saß stramm. Ivy ruderte mit den Beinen und suchte nach Halt für ihre Füße. Endlich fühlte sie ein Kantholz auf der einen und einen breiteren Rand auf der anderen Seite, auf die sie ihre Füße stützen konnte. Einen Augenblick lang musste sie sich ausruhen und versuchen, wieder zu Atem zu kommen.
Der breitere Rand - Ivy blickte hinab und sah einen feinen, grauen Streifen direkt darüber.
Mit zitternden Beinen brachte sie sich wieder in eine sichere Position. Schweißtropfen rannen ihr in die Augen. Jetzt musste sie nur noch den Schiebeladen anheben und hinausklettern. Sie stellte sich vor, wie sie die Finger von der Segeltuchrolle lösen, die Hand ausstrecken und den Laden hochschieben würde.
Drei, zwei, eins … loslassen! Mit einer raschen Drehung streckte sie in der Dunkelheit die Hand aus, tastete nach
der Stelle, wo der Laden sein musste, und schob. Dann griff sie schnell wieder nach dem umwickelten Kabel.
Das Kabel schaukelte und quietschte, aber der Schiebeladen hatte sich nicht bewegt. Oder … Bildete sie sich das nur ein, oder war der graue Lichtstreifen ein kleines bisschen breiter geworden?
Ein Schatten bewegte sich dahinter, und einen Augenblick lang erstarrte Ivy. Dann erkannte sie das Geräusch von Phoebes Krallen auf dem hölzernen Fußboden.
Sie streckte die Hand noch einmal aus und zerrte an dem Schiebeladen. Der Lichtstreifen war nun fast einen Zentimeter breit. Sie stieß ihre Fußspitze in den Spalt, und der Laden hob sich um weitere drei Zentimeter.
Auf der anderen Seite war Phoebe. Sie legte die Pfoten auf den Sims, schnüffelte an Ivys Joggingschuh und stieß ein leises Bellen aus.
»Fort mit dir«, sagte Ivy und schob den Laden mit dem Fuß hoch, bis er halb geöffnet war. Die Hündin legte ihre Schnauze mit den weißen Barthaaren auf den Sims. »Weg mit dir!« Phoebes Hinterteil wackelte vor Begeisterung. »Phoebe, sitz!«
Die Hündin gehorchte.
»Bleib, wo du bist!«
Sie legte den Kopf auf die Pfoten. Ivy war verblüfft.
Stück für Stück gelang es ihr, den Schiebeladen vollständig zu öffnen. Dann stellte sie die Füße auf zwei vorstehende Kanthölzer zu beiden Seiten des Schachts, hielt sich an beiden Seiten der Öffnung fest und verlagerte ihr Gewicht.
Die Zwangsjacke lockerte sich, und Ivy sah mit angehaltenem Atem zu, wie ihr Rettungsgerät in die Dunkelheit hinabrutschte.
Langsam, vorsichtig und mit zitternden Beinen winkelte sie die Knie an, bis sie auf dem Sims lagen. Dann zog sie
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