Nevermore
dabei war, zur hellen Seite der Macht überzulaufen (wenn es wirklich das war, was sie vorhatte), hatte sich ihr ehemaliger Freundeskreis endgültig in zwei Lager gespalten.
Aber komischerweise machte Isobel die Situation einfach nur sauer und sie wünschte sich, dass sich Nikki einen anderen Tag ausgesucht hätte. Gestern, zum Beispiel. Heute hatte sie absolut keinen Nerv für so was.
Isobel sah Stevie an, der ihr zuwinkte. Zweifellos stand er auf Nikkis Seite, weil diese sich endlich dazu durchgerungen hatte, eine vorsichtige Annäherung zu versuchen.
»Hey, Iz«, rief er, »wo bist du gewesen?«
Sie blieb neben dem Tisch stehen und ließ ihren Rucksack zu Boden fallen. »Lange Geschichte.«
»Weißt du«, sagte Gwen, nachdem sie einen Bissen von etwas heruntergeschluckt hatte, das Isobel als ein Erdnussbutter-Bananen-Sandwich identifizierte, »ich habe diesen Blick schon einmal gesehen. Nicht bei dir«, sie schüttelte den Kopf, »bei jemand anderem. Ich glaube, er hieß Rambo.«
»Gwen.«
»Isobel«, erwiderte Gwen in demselben todernsten Tonfall.
Isobel drehte sich um und setzte sich dann so auf die Bank, dass ihre Knie nach außen und nicht unter den Tisch zeigten. Sie saß jetzt mit dem Rücken zu Stevie und Nikki. »Hör zu«, sagte sie leise zu Gwen, »bekommst du es hin, dass ich heute Abend doch zu dieser Party gehen kann?«
Gwen biss noch einmal von ihrem klebrigen Sandwich ab und lächelte. »Ich dachte, du wolltest nicht hingehen.« Mit einem Mund voller Banane und Erdnussbutter waren die Worte kaum zu verstehen.
Genervt sah Isobel Gwen an. Sie hatte nie gesagt, dass sie nicht hingehen wollte. Sie hatte von Anfang an zu der Party gehen wollen , aber jetzt musste sie, denn sie hatte irgendwie das Gefühl, dass sie Varen, wenn überhaupt, bei The Grim Facade finden würde.
»Hey«, sagte Gwen und stieß Isobel ihren knochigen Ellbogen in die Rippen, »was ist denn los mit dir? Du machst schon wieder dieses gruselige In-die-Luft-Starren. Warum hast du es dir überhaupt anders überlegt? Nicht, dass du wirklich eine Wahl gehabt hättest, nachdem ich Mikey dazu gebracht habe, mich einzuladen. Wieso isst du denn nichts? Wo ist dein Mittagessen? Du musst schon mit mir reden. Habt ihr beiden das Projekt fertig gemacht oder was? Und wo ist Seine Dunkle Hoheit überhaupt? Ich habe ihn heute den ganzen Tag noch nicht gesehen.«
Er sollte eigentlich hier an diesem Tisch sitzen, dachte Isobel und ballte eine Hand zur Faust.
Ein neuer Gedanke kam ihr in den Sinn und sie sah zum Goth-Tisch. Die dort versammelte Gruppe war klein, vermutlich waren nur wenige von ihnen heute zur Schule gekommen, weil sie solche Dinge wie das Trainingsspiel und das Chaos des Derbytages verabscheuten. Und außerdem war Halloween. Sie bereiteten sich zweifellos auf ihre eigene Feier vor, auf The Grim Facade Auch Lacy fehlte.
»Hast du vor, die ganze Zeit einfach so dazusitzen und mich zu ignorieren?«, ertönte eine bebende Stimme vom anderen Ende des Tischs. Nikki.
Isobel hob die Füße, drehte sich um und steckte die Beine unter den Tisch. Sie wollte sich nicht auch noch darum kümmern müssen, und vor allen Dingen nicht jetzt.
»Sag mir einfach, ob du mich hasst«, fuhr Nikki fort. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hände - wie ein zum Tode verurteilter Verbrecher, der den Henker bittet, es kurz zu machen. »Schimpf mit mir, sei wütend, irgendwas.« Ihr Kinn zitterte. »Aber sitz nicht einfach nur da und ignorier mich.«
Isobel sah weg, einen Anflug von Schuldgefühlen in ihren Augen. »Nikki.« Sie seufzte. Doch dann hielt sie die Luft an.
»Oh mein Gott, Gwen.« Sie streckte die Hand aus und krallte ihre Finger so fest in Gwens Arm, dass das Bananensandwich Gwens Mund verfehlte und zu Boden fiel.
»Oh mein Gott was? Ich wollte das noch essen.«
»Wer ist dieser Typ?«
»Welcher Typ?«
»Der da«, sagte Isobel und packte Gwens Arm noch fester. »Der da bei Brad sitzt.«
Stevie und Nikki drehten ihre Köpfe in die Richtung, in die Isobel zeigte.
Direkt neben Brad saß ein Junge mit porzellanweißer Haut, eine dunklen blutroten Haare waren nach hinten gegelt und sahen irgendwie gleichzeitig glatt und stachelig aus. Unter dem Tisch sah Isobel Stiefel und eine Hose, die mit Schnallen und angelaufenen Silberketten übersät war. Außerdem hatte er einen dünnen, mit Riemen verzierten schwarzen Mantel an, der wie eine Zwangsjacke aussah. Hauteng schmiegte er sich um die spindeldürre Figur
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