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Nevermore

Nevermore

Titel: Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Creagh
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gebracht - manche Leute sagen sogar, dass man ihn direkt in dem Gasthaus gefunden hat.«
    Isobel hörte zu und drehte dabei ihren Stift zwischen den Fingern.
    »Er war auf dem Nachhauseweg von Richmond nach New York als er für fünf Tage verschwand. Er war wie vom Erdboden verschluckt. In New York kam er nie an und es gibt Leute, die behaupten, dass er aus irgendwelchen Gründen versucht hatte umzukehren. Als sie ihn dann in Baltimore fanden, konnte er nicht erklären, was passiert war, weil er immer wieder bewusstlos wurde. Und das, was er sagte, ergab keinen Sinn.«
    »Warum?«, flüsterte Isobel. »Was hat er denn gesagt?«
    Varen zog die Augenbrauen hoch und richtete seinen Blick auf eins der nahe gelegenen Fenster. »Als er ins Krankenhaus gebracht wurde, hat er mit irgendwem gesprochen, der gar nicht da war. Und dann, am Tag bevor er gestorben ist, hat er angefangen, nach jemandem zu rufen. Aber denjenigen, nach dem er gerufen hat, kannte niemand.«
    »Und dann ist er einfach gestorben?«
    »Ja, nach ein paar Tagen im Krankenhaus ist er dann gestorben.«
    »Und keiner weiß, wo er gewesen ist oder was mit ihm passiert ist? Überhaupt niemand?«
    »Es gibt einen Haufen Theorien«, sagte Varen. »Deshalb machen wir ja auch das Projekt über ihn.«
    »Was für Theorien denn zum Beispiel?«, hakte Isobel nach.
    »Na ja.« Varens Stuhl knarzte, als er sich zurücklehnte. Seine Augen schweiften wieder in die Ferne und Isobel hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass die Mauer um ihn herum ein klein wenig niedriger geworden war. »Viele Leute beharren auf der Theorie, dass er sich zu Tode gesoffen hat.«
    Isobels Blick wanderte zu seinen Händen. Sie hatte noch nie einen Jungen mit solchen Händen gesehen, mit so langen, feingliedrigen Fingern, elegant und dennoch männlich. Auch seine Fingernägel waren lang, fast kristallklar und liefen spitz zu. Es war die Art von Händen, die man unter Spitzenmanschetten zu sehen erwartete, wie bei Mozart oder so.
    »Außerdem war Wahltag«, erzählte Varen weiter, »weshalb viele Leute glauben, dass man ihm Drogen gegeben und ihn so dazu gebracht hat, seine Stimme mehrmals abzugeben. Das ist eine der beliebtesten Vermutungen.« Er zuckte mit den Schultern. »Manche Leute sagen sogar, dass er Tollwut hatte, nur weil er Katzen mochte.«
    »Ja, aber hätte man denn nicht bemerken müssen, wenn er betrunken gewesen wäre?«
    »Vielleicht wurden die Berichte versehentlich vertauscht«, sagte er. »Und er hatte Feinde. Es wurde viel Klatsch über ihn verbreitet.«
    »Und was denkst du, was mit ihm passiert ist?«
    Zu Isobels Überraschung machte Varen ein Gesicht, als wäre ihm die Frage unangenehm. Seine Augenbrauen bauschten sich zusammen, sein Blick verfinsterte sich und er runzelte die Stirn. »Keine Ahnung. Ich denke, dass es sich viele dieser Theorien zu einfach machen. Aber auf der anderen Seite habe ich auch keine eigene.«
    Es verstrichen ein paar Augenblicke. Ein Mann in einem grauen Anzug und mit schütterem Haar stand von einem Tisch in der Nähe auf. Er suchte seine Bücher zusammen, ging an Isobel und Varen vorbei und ließ sie allein. Ein fast greifbares Schweigen nahm seinen Platz ein und schien die Luft zwischen ihnen dick werden zu lassen.
    Isobel klappte ein weiteres Buch von denen, die auf dem Tisch lagen, auf: Es war klein und dünn wie eine Zeitschrift. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, wusste jedoch nicht, was. Irgendetwas, solange es nur das Schweigen brach.
    Varen kam ihr jedoch zuvor, indem er ohne Vorwarnung aufstand und sich vor ihr aufbaute. »Geh das hier durch«, sagte er und deutete mit einer steifen Kopfbewegung auf das Buch, das sie in der Hand hielt, »und sieh nach, ob du das Gedicht Annabel Lee finden kannst. Ich muss noch mal das Regal durchforsten.«
    Isobel hob grinsend eine Hand und salutierte. »Aye, aye, oh Käpt’n, mein Käpt’n!«
    Er drehte sich um. »Richtige Epoche«, murmelte er, »falscher Schriftsteller«, und verschwand zwischen den Regalen.
    Als er außer Sichtweite war, klappte Isobel den kleinen Gedichtband zu und beugte sich nach vorne. Sie räumte den gelben Schreibblock aus dem Weg und hob den Deckel von Varens Notizbuch an. Sie lugte hinein und lüftete ein paar der Seiten. Sie warf einen schnellen Blick zu den Regalen, zwischen die er geschlüpft war. Da weit und breit nichts von Varen zu sehen war, widmete sie sich wieder dem Buch. Sie war jetzt halb aufgestanden, um besser hineinsehen zu können. Der Buchrücken gab

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