Nevermore
ein leises Knarzen von sich, als sie es schließlich ganz öffnete. Es ging ganz leicht, als würden die Seiten mehr Zeit voneinander getrennt als zusammen verbringen.
Jeder Zentimeter des weißen Papiers war mit lilafarbener Handschrift bedeckt. Was hatte es überhaupt mit dieser lila Tinte auf sich? Aber es war die schönste Handschrift, die Isobel je gesehen hatte. Jede Schlaufe und jeder Bogen waren sauber verbunden und ließen die Schrift so perfekt und gleichmäßig aussehen wie gedruckte Buchstaben. Es verblüffte sie, dass sich tatsächlich jemand hinsetzte und die Zeit nahm, so minutiöse Buchstaben zu formen. Sie sah sich noch einmal um, bevor sie die nächste Seite umblätterte - noch mehr handschriftlich Geschriebenes! An diesem Kerl war ein Shakespeare verloren gegangen.
An manchen Stellen hatte er um Zeichnungen herum geschrieben. Eigentlich waren es eher lose Skizzen und einige davon waren ziemlich seltsam. Leute mit wirren Haaren, von deren Gesichtern ganze Teile fehlten, so als wären sie aus Glas. Isobel blätterte noch eine Seite weiter und traute sich diesmal, etwas von dem Text zu lesen.
Sie stand im Nebel und wartete wieder auf ihn, immer an derselben Stelle.
Isobel blickte auf und lehnte sich zur Seite, um zwischen die Regale und Büchertürme zu sehen und nach etwas Schwarzem oder Silbernem Ausschau zu halten, das sich bewegte. Es war nichts von Varen zu sehen. Er musste zu den Magazinen ganz am anderen Ende der Bibliothek gegangen sein. Sie wandte sich wieder der Buchseite zu und suchte nach der Stelle, an der sie aufgehört hatte zu lesen. Nur noch ein ganz kleines Stückchen. Das hier war schließlich kein persönliches Tagebuch oder so, richtig?
Er stellte immer dieselbe Frage: »Was soll ich tun?«
Sie gab ihm nie eine Antwort. Sie konnte nicht. Sie konnte nur vor sich hinstarren, ihn nur mit ihrem Blick berühren und ihn mit sich hinunter in die sorgenvollen Untiefen dieser schwarzen Gewässer ziehen.
Das schwarze Buch schlug mit einem Knall zu.
Isobel starrte zuerst auf die mit Silberringen geschmückten Finger, die den Buchdeckel nach unten drückten, und dann wanderte ihr Blick den schwarz gekleideten Arm hinauf und noch ein Stück weiter, bis er schließlich widerwillig auf ein kajalumrandetes Augenpaar traf. Varen sah sie verachtungsvoll an und sie hatte das Gefühl, dass er sie jede Sekunde erwürgen würde.
»Ich wollte nur-«
»Herumschnüffeln.« Er legte das Buch, mit dem er an den Tisch zurückgekehrt war, ab, schnappte sich sein schwarzes Skizzenbuch und steckte es in seine Schultasche.
»Ich habe nichts gesehen«, log Isobel und blickte auf den Titel des Buchs, das er gerade aus dem Regal genommen hatte. Das Geheimnis des Wachträumens stand da. Doch es wurde ihr gleich wieder unter den Augen weggezogen.
»Ich muss los«, sagte Varen und griff nach seiner Schultasche.
»Warte. Was ist mit dem Projekt?«
Er zeigte auf ihre Bücherliste. »Fang schon mal an zu lesen. Du hast doch einen Bibliotheksausweis, oder?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und verschwand zwischen den Regalen.
Eine Warnung
Hey, Dad, wie spät ist es?« Isobel fragte sich, ob ihre Freunde wohl immer noch bei Double Trouble waren.
»Kurz nach drei«, sagte ihr Vater, als der Sedan an einer Kreuzung zum Stehen kam. »Warum?«
»Nur so.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Du hast noch gar nichts zu meinem neuen Haarschnitt gesagt«, meinte er und nahm eine Hand vom Lenkrad, um ein paar imaginäre Locken an seinem Hinterkopf zurechtzuzupfen.
Isobel versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken, während sie seine Frisur begutachtete. Im Grunde war es nur ein wenig Nachschneiden gewesen, ein Trimmen seines üblichen Haarschnitts, den Isobel oft als »zerzaust nach Pennerart« bezeichnete.
Im Gegensatz zu Danny hatte Isobel nicht das dunkelbraune, fast schwarze Haar ihres Vaters geerbt, obwohl ihres dieselbe feine, fast glatte Struktur hatte.
»Oh, stimmt ja. Hinreißend!«
Ihr Dad sah sie mit einem albernen Grinsen an, so lange, bis sie sagte: »Es ist grün.« Er sah wieder geradeaus, beide Hände am Lenkrad.
»Du siehst heute furchtbar niedergeschlagen aus«, stellte er fest und bog nach Westen ab, in Richtung ihres Wohnviertels, ist irgendwas mit Brad?«
»Nein« antwortete sie und beschloss dann, es lieber nicht dabei zu belassen. »Brad und ich wollten dieses Wochenende einfach unterschiedliche Dinge machen. Das ist alles.«
Ihr Vater mochte
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