Neverwake
eines Frachtzeppelins und konnte so die Ruinen, die in Babelsberg von der deutschen Filmindus t rie geblieben waren, von oben sehen.
INFORM war eines von diesen retroromantischen Gebäuden, die durch übertriebene Stilisierung Geschichtlichkeit vo r täuschten. Wie eine Mischung aus transsylvanischem Studio-Schloß und viktorianischem Herrenhaus kam es Esch vor, nur in die Höhe gedehnt und mit getönten Glasstrukturen versetzt, die die Fassaden der umliegenden, ebenfalls noch nach Farbe und Teppichkleister riechenden Boomtown-Wolkenkratzer widerspiegelten.
Das Foyer war weitläufig und hell und erinnerte eher an ein Hotel als an eine Softwareschmiede. Überall hingen eigenartige Plakate mit Schriftzügen wie
MAN MUß INFORM sein! und SIND SIE INFORM?
Großflächige Monitore zeigten Grafikdemos, sowohl abstrakte Farbenspiele als auch perfekt animierte achtbeinige Pferde in surrealistischen 3D-Landschaften. Die Mitarbeiter, die geschä f tig herumliefen oder einfach nur miteinander plauderten, waren leger gekleidet, viele der Programmierer trugen mehrfarbige Dreadlocks.
Artig meldete Esch sich am Empfang an und wurde nur zwei Minuten später von Dr. Karolin Berba abgeholt, die ihm hiermit ihre dritte beeindruckende Garderobe in drei Tagen präsentierte, während Esch immer denselben robust-bequemen Kapuzen-Schlabberlook trug. Sie fuhren im Aufzug sieben Stockwerke nach oben und nahmen dann in einem nüchternen Besprechungszimmer Platz. Tee und hagelgezuckertes Gebäck standen bereit.
»Als erstes muß ich Sie leider um eine Formalität bitten, Herr Esch. Hier auf diesem Papier müssen Sie bitte unterschreiben, daß alles, was wir in diesem Raum jetzt besprechen, der G e heimhaltungspflicht unterliegt und nicht nach außen dringen darf. Dies gilt auch – und sogar besonders – für den Fall, daß wir uns heute nicht über ein Arbeitsverhältnis einig werden.«
»Hm. Ich muß nochmal dazusagen, daß ich für einen echten Full-Time-Job gar nicht in Frage komme.«
»Der Job, für den wir Sie anheuern möchten, wäre eine befri s tete Angelegenheit, die etwa ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen würde.«
»Ein bis zwei Tage? Das ist machbar. Also gut.«
Esch unterschrieb. Dr. Berba verzeichnete dies mit einem freundlichen Nicken.
»Ich mache es so kurz wie möglich«, begann sie, »ich möchte Sie nicht mit Details langweilen. INFORM Potsdam hat in enger Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Mutterhaus ein neues Spiel entwickelt, das wir vor der Marktreife erst noch gewissenhaft durchtesten müssen. Wir nennen dieses Spiel Reference, denn genau das wird es sein: das Referenzprodukt unter den action-orientierten 360-Grad-Shootern. Erinnern Sie sich noch an ein Spiel namens Descent?«
»Vom Hörensagen – eines der Großen Alten, das am Ende des vorigen Jahrhunderts ein Knaller in der PC-User-Gemeinde war. Wenn ich mich richtig erinnere, war Descent der erste ernstzunehmende Shooter mit völliger räumlicher Bewegung s freiheit. Man flog in einer Art Gleiterraumschiff in komplexe Tunnel- und Minenlabyrinthe hinein und knallte diverse Arten von Robotern ab, die dort herumspukten.«
»Richtig. Später in der Konsolengeneration kam Forsaken und bohrte das Genre grafisch auf, und in unserem Jahrhundert übernahm dann die Confrontation-Serie das Zepter mit noch nie dagewesener Levelvielfalt, hoher Gegnerintelligenz, atemberaubenden Explosionseffekten und einem abwech s lungsreichen Gameplay, in dem auch Rätsel- und taktische Elemente nicht zu kurz kamen. Reference wird Confrontation alt aussehen lassen, so alt, wie Pac-Man neben Tomb Raider aussah und Tomb Raider neben The Adventurers.«
»So dürfen Sie mit einem Virt nicht reden, Frau Doktor. Sie machen mich richtig an.«
»Wie ich gestern schon sagte: alles eine Frage der Motivation. Sie sollen Reference für uns testen, und wir zahlen Ihnen auch noch gutes Geld dafür. Klingt das akzeptabel?«
»Das tut es, aber ich bin trotzdem ein bißchen verwirrt. Shooter sind eigentlich nicht mein Fachgebiet.«
»Nun, wir haben bei früheren Gelegenheiten schlechte Erfa h rungen gemacht mit den sogenannten Virts der Shooter-League. Diese – vorsichtig ausgedrückt – Ewig-pubertären bringen einfach nicht die nötige Reife und Ernsthaftigkeit mit, um für uns als Tester effizient zu sein. Wir bevorzugen Profis aus der V-League. Oder haben Sie Bedenken, mit einem Shooter nicht umgehen zu können?«
»Neinnein. Ich bin genauso mit allen denkbaren Genres aufg e
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