Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Schoschonen und besonders von den Dakota übernommen wurde, die schließlich daran zugrunde gingen.»
«Wie meinst du das?» fragte Wolfgang.
«Sie wurden getötet», sagte ich und sah ihn erstaunt an, denn ich konnte kaum glauben, daß es jemanden gab, der überhaupt nichts von dieser Geschichte wußte. «Es ist eines der bittersten Kapitel in der Geschichte der Indianer. Aber schuld waren im Grunde unvereinbare Religionen. Man hat den Indianern verboten zu jagen; sie wurden in Reservaten zusammengetrieben und gezwungen, Feldfrüchte anzubauen. Dann kam kurz vor der Jahrhundertwende die große Hungersnot. Die Indianer starben zu Tausenden, und die, die noch lebten, tanzten. Sie tanzten wild und ekstatisch und verfielen in Trance, so verzweifelt versuchten sie, die idyllische Vergangenheit zurückzubringen, als die Erde und ihre Kinder eins waren. Sie glaubten, die Geisterhemden, die sie trugen, würden die Kugeln der Soldaten abweisen. Die weißen Siedler schreckte die neue Religion; sie hielten diese Tänze für Kriegstänze, woraufhin die Regierung die Geistertänze verbot. Als die Dakota ihre Tänze an einer abgelegenen Stätte fortsetzten, rückten Regierungstruppen an und metzelten ganze Familien nieder. Du hast doch bestimmt von dem Massaker gehört, bei dem 1890 am Wounded Knee alle Geistertänzer getötet wurden.»
«Sie wurden umgebracht, weil sie getanzt haben?» sagte Wolfgang fassungslos.
«Man kann es sich kaum vorstellen, nicht wahr?» sagte ich und fügte sarkastisch hinzu: «Aber die Bundesregierung vertrat in diesen regionalen Streitfragen gewöhnlich einen harten Kurs.»
«Das ist eine wirklich erstaunliche Geschichte», sagte Wolfgang. «Dann sind die Nachfahren der zivilisierten weißen Europäer also die Bösewichte in dem Stück?»
«Du hast wirklich keine Ahnung», sagte ich. «Aber du hast mich gefragt, woran ich glaube. Ich wünschte, es gäbe so etwas wie einen Geistertanz, der wieder zu einer Harmonie zwischen uns und unserer Großmutter, wie die Indianer die Erde nennen, führen würde. Allerdings wäre ich dabei keine große Hilfe. Ich bin keine sehr gute Tänzerin.»
Wolfgang lächelte. «Wie kann das sein», sagte er, «nachdem deine Tante Zoe eine der berühmtesten Tänzerinnen des Jahrhunderts, war? Und du scheinst v iele ähnliche Eigenschaften zu haben. Du bist gebaut wie eine Tänzerin. Man braucht dich nur Ski laufen zu sehen.»
«Aber ich habe Angst im tiefen Pulverschnee», erklärte ich. «Ich möchte immer alles unter Kontrolle haben, und wenn man das will, kann man nicht gleichzeitig ein guter Tänzer sein. Sams Mutter, die ich nie kennengelernt habe, war eine echte Nez Percé. Als Sam und ich Kinder waren, wurden wir feierlich ‹Blutsbrüder›. Ich wollte zum Stamm gehören, aber Sams Großvater war dagegen, weil ich nicht tanzen wollte. Siehst du, ein Neuling im Stamm muß erst das werden, was die Hopi hoya nennen. Hoya ist der Name für einen Initiationstanz und bedeutet ‹flügge werden›.»
«Aber ich habe dich von einem ziemlich hohen Felsen springen sehen», sagte Wolfgang immer noch lächelnd. «Und doch glaubst du, du könntest nicht genug loslassen, um im tiefen Pulverschnee zu tanzen. Verstehst du jetzt, wie mächtig der Glaube sein kann? Denn in Wirklichkeit hast du selbst entschieden, daß du das eine kannst und das andere nicht.»
«Zumindest weiß ich, was ich glaube, wenn ich an Sams Großvater denke», sagte ich, ohne auf Wolfgangs Bemerkung einzugehen. «Er hat gehofft, Sam, der sein einziges Enkelkind ist, von meiner Seite der Familie fernzuhalten. Wir sind ein bißchen komisch. Aus der Sicht von Dark Bear waren. Sam und ich vielleicht engere Freunde geworden, als ihm lieb war. Für Blutsverwandte haben die Nez Percé sehr strenge Regeln. Als Sams Cousine hätte ich zu den verbotenen Früchten gehört. Eine Heirat innerhalb der Familie ist nicht erlaubt, nicht einmal unter entfernteren Verwandten.»
«Heirat?» warf Wolfgang ein. «Aber du hast doch gesagt, du warst ein Kind!»
Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoß. Ich senkte den Kopf, aber Wolfgang legte den Finger unter mein Kinn und zwang mich, ihn anzusehen.
«Ich will dir sagen, was ich glaube, meine Liebe», sagte er. «Wenn dieser Cousin von dir nicht vorzeitig verschieden wäre, müßte mich dieses Erröten ziemlich beunruhigen.»
Glücklicherweise wurde im selben Augenblick unser Flug aufgerufen.
Während des langen Flugs nach New York informierte mich Wolfgang
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