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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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ausführlich über unseren Auftrag in der Sowjetunion. Was die Hintergründe unseres Auftraggebers, der Internationalen Atomenergiebehörde, betraf, so wußte ich darüber bereits einiges.
    Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl im Jahr 1986 verlangte die IAEA, sofort über jeden nuklearen Unfall informiert zu werden, der grenzüberschreitende Auswirkungen haben könnte. Ein Jahr später erarbeitete die IAEA ein Programm, um die Mitgliedstaaten bei der Entsorgung des nuklearen Abfalls zu beraten – ein Problem, mit dem Olivier und ich für die USA täglich zu tun hatten.
    Die Katastrophe von Tschernobyl hat viele dieser Veränderungen bewirkt, aber der eigentliche Grund war der Öffentlichkeit weitgehend vorenthalten worden. Tschernobyl war ein Brutreaktor eines Typs, der in der UdSSR, aber auch in Amerika und anderen Ländern lange Zeit gefördert wurde, bei der Bevölkerung aber instinktiv Ängste geweckt hatte – möglicherweise aus gutem Grund.
    Ein Brutreaktor brütet, wie der Name sagt, und erzeugt dabei mehr brennbares Material, als er verbraucht. Es funktioniert ähnlich wie beim Brotbacken. Man braucht ein bißchen nuklearen Sauerteig, in diesem Fall ein spaltbares Material wie Plutonium 239, gibt ein Quantum Uran 238 dazu, das für sich allein als Triebmittel ungeeignet ist. Daraus erhält man einen größeren Batzen Sauerteig, sprich mehr Plutonium, das entweder wiederaufgearbeitet wird zu nuklearem Brennstoff oder für die Herstellung von Kernwaffen abgezweigt wird.
    Weil dieser Reaktortyp wegen des wesentlich geringeren Uranbedarfs so kostengünstig arbeitet, wurde er jahrzehntelang von den Russen und von uns genutzt. Aber wo war all das Plutonium geblieben? In den USA war dies während des Kalten Krieges kein Geheimnis: Es wurde wiederaufgearbeitet und zu atomaren Sprengköpfen verwendet, von denen es schließlich so viele gab, daß jeder in Amerika ein paar in seiner Garage hätte haben können. Was jedoch den hochradioaktiven Atommüll der Russen anging, so würden wir darüber möglicherweise in Wien einiges herausfinden.
    Der Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde befindet sich in Wien in der UNO-City an der Wagramerstraße auf einer Insel zwischen Donau und Alter Donau. Jenseits des Stroms liegt der Prater mit dem berühmten Riesenrad – derselbe Vergnügungspark, wo meine Großmutter Pandora vor fünfundsiebzig Jahren mit Onkel Laf und Adolf Hitler Karussell gefahren war.
    Als wir am Dienstag um neun Uhr morgens in Schwechat landeten, wurden wir bereits von Wo lfgangs Mitarbeiter Lars Fennish erwartet, der uns mitsamt unserem Gepäck zu den ersten Besprechungen in die UNO-City brachte. Nach der langen und anstrengenden Reise, während der ich wenig geschlafen hatte, war mir nicht nach viel reden zumute. Ich saß still auf dem Rücksitz, und während sich die zwei Männer auf deutsch über unseren Tagesablauf unterhielten, blickte ich durch die blaugetönten Scheiben auf die trübselige Vorstadtkulisse. Doch als wir uns Wien näherten und den Fluß überquerten, tauchten Erinnerungen an früher auf.
    Ich hatte Wien vor rund zehn Jahren das letzte Mal gesehen, aber bis jetzt war mir nie klar geworden, wie sehr ich die Stadt meiner Kindheit vermißt hatte, all die Weihnachtsfeste und Ferien, die ich mit Jersey inmitten der Musikwelt bei Onkel Laf verbracht hatte, wo ich Lebkuchen und Plätzchen gegessen, mit Bändern und Schleifen verschnürte Geschenkpakete geöffnet und Ostereier gesucht hatte. Mein Bild von Wien war schöner und bunter als das Bild, das die Stadt dem Rest der Welt präsentierte – «die Stadt von Strudel, Schnitzel und Schlagobers», wie es Onkel Laf ausdrückte. Ich sah ein anderes Wien, eine Stadt mit so vielen Traditionen, dem Flair so vieler verschiedener Kulturen und spürte in allem den Zauber ihrer Geschichte.
    Die Donau ist der Strom, der West- und Osteuropa verbindet. Im 7. Jahrhundert v. Chr. erschlossen die Griechen den Unterlauf der Donau und nannten ihn Istros. Am Oberlauf bildete der Fluß seit Kaiser Oktavian die Nordgrenze des Römischen Reichs und hieß dort Danubius. Aber wie auch immer dieser Fluß im Lauf der Jahrhunderte von den Völkern genannt wurde – alle Formen seines heutigen Namens gehen zurück auf das keltische Wort «Danu» – das Geschenk.
    Das Wasser der Donau war ein Geschenk für alle Länder, die an ihrem Weg lagen. Sie kümmerte sich nicht um Grenzen, überwand alle künstlichen oder natürlichen Hindernisse und brachte allen das

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