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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Delphi.
    Es war der Ort des Orakels, der Pyt hia, die vom Drachen Python inspiriert wurde. Seit Tausenden von Jahren sagten hier die Prophetinnen als Sprachrohr Apollos Ereignisse voraus und rieten zu bestimmten Aktionen, die die Griechen gläubig befolgten. Kein Schriftsteller der Antike zweifelte daran, daß das Orakel von Delphi imstande war, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen. Folglich könnte ein Ort wie Hermione, der so bedeutende Stätten wie Delphi und den Berg Ida auf Kreta verband, die Achse gewesen sein.
    Ich zeichnete mit dem Finger ein unsichtbares X über die Achse, so daß ein sechszackiger Stern entstand, eine Hagalrune, wie sie Wolfgang während der Herfahrt in die Luft geschrieben hatte.
    An diesem Punkt schien es kein Zufall mehr zu sein, daß die erste Linie durch Eleusis ging, die Heimat der Eleusinischen Mysterien, und weiter zur makedonischen Halbinsel, wo der Berg Athos in die Ägäis ragt – eine Stelle, die hier auf der Landkarte mit Dutzenden kleinen Kreuzen versehen war. Kaiser Theodosius, der Schirmherr des heiligen Hieronymus, ließ hier zwanzig Klöster errichten, und Athos, das wiederholt von Türken und Slawen in zahllosen Balkankriegen geplündert wurde, beherbergte eine bedeutende Sammlung alter Manuskripte. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Lage – der Berg Athos ist vom Olymp auf dem griechischen Festland und von Troja in Kleinasien gleich weit entfernt – war er von diesen beiden Orten aus zu sehen. Vielleicht war der Berg Athos selbst eine weitere Achse?
    Die andere Linie meines Sterns war sogar noch interessanter. Sie führte nach Olympia am Alfios, an den Ort der antiken Olympischen Spiele. Ich war einmal dort gewesen nach einem Konzert, das Jersey in Athen gegeben hatte. Unterhalb des Bergs Kronos waren wir über Steintrümmer gestiegen. Neben so berühmten Ruinen wie dem Zeustempel sind mir von Olympia auch die Überreste des Heraion – des Tempels der Göttin Hera, der Gemahlin und Schwester des Zeus – in Erinnerung geblieben, obwohl dieser aus Holz und Gipsmörtel errichtete Tempel weniger eindrucksvoll war als der Zeustempel. Das ursprüngliche Heraion wurde bereits 1000 v. Chr. erbaut und ist der älteste noch bestehende Tempel Griechenlands.
    Dann wußte ich plötzlich, warum mir der Name Hermione so vertraut war, nicht nur als ein Name in unserer Familie. In den Mythen war Hermione der Ort, an dem Hera und Zeus aus Kreta kommend zum ersten Mal in Griechenland an Land gingen – es war die Pforte der olympischen Götter zum europäischen Kontinent.
    Wolfgang, der stumm zugesehen hatte, wie mein Finger über die Glasscheibe und die darunter befindliche Landkarte fuhr, wandte sich jetzt zu mir.
    «Es ist erstaunlich», sagte er. «Ich bin oft an dieser Landkarte vorbeigekommen, aber ich habe nie die Verbindung gesehen, die du anscheinend auf den ersten Blick entdeckt hast.»
    Ein Aufseher in Uniform erschien und öffnete die hohen Eingangstüren zu der in Gold und Weiß gehaltenen barocken Bibliothek. Vor der Fensterfront am gegenüberliegenden Ende des Saals erstreckte sich eine breite terrakottafarbene Terrasse; darunter lag die Donau, die in der Morgensonne glitzerte und ihr flimmerndes Licht in die Bibliothek reflektierte. Ein Wärter staubte eine der Glasvitrinen ab, die den Raum unterteilten, während ein Stück weiter ein drahtiger grauhaariger Mann in einem Priestergewand in Leder gebundene Bücher auf einem Bord ordnete. Er drehte sich um, als wir eintraten, lächelte und kam auf uns zu. Er kam mir irgendwie bekannt vor.
    «Ich hoffe, es macht dir nichts aus», sagte Wolfgang, indem er meinen Arm nahm. «Aber ich habe jemand gebeten, uns zu helfen.» Wir gingen auf den Mann zu, um ihn zu begrüßen.
    «Professor Hauser», sagte der Priester auf englisch mit starkem italienischem Akzent. «Ich bin froh, daß Sie und Ihre amerikanische Kollegin so früh gekommen sind. Ich habe schon einiges für Sie vorbereitet. Aber, scusi, signorina. Ich bin Pater Virgilio, der Archivar. Ich hoffe, Sie entschuldigen mein schlechtes Englisch.» Dann fügte er mit einem irgendwie unangenehmen Lächeln hinzu: «Virgilio ist ein guter Name für einen Führer, nicht wahr? Wie Vergil in der Divina Commedia.»
    «War er es, der Dante das Paradies zeigte?» fragte ich. «Nein, das war Beatrice, eine schöne junge Frau wie Sie»,
    erwiderte er charmant. «Der Dichter Vergil – es tut mir leid, das sagen zu müssen – führte ihn durch Fegefeuer, Vorhölle und Hölle. Ich

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