Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Gegend in Frankreich kamen. Es gibt viele Theorien, aber alle beziehen sich auf eines: das Blut.»
«Das Blut?» wiederholte ich.
«Manche behaupten, die Merowinger seien von heiligem Blut gewesen», fuhr er fort, «denn sie stammten möglicherweise von Jakobus, dem Bruder Christi, ab oder waren sogar die Nachfahren einer heimlichen Ehe zwischen Miriam von Magdali und Jesus. Andere sagen, Josef von Arimathäa habe das Blut des Erlösers im Heiligen Gral aufgefangen, einem Gefäß, das die Magdalis später nach Frankreich brachten und für den Tag aufbewahrten, wenn die Wissenschaft imstande sein würde, ein menschliches Wesen wiederherzustellen.»
«Sie meinen so etwas wie die Nachschöpfung anhand der DNS oder Klonen?» sagte ich ungläubig und zog eine Grimasse.
«Solche Ansichten sind natürlich nicht nur ketzerisch, sondern auch, wenn ich das so sagen darf, ziemlich töricht», erwiderte Virgilio mit einem schiefen Lächeln. «Die große Geschichte des Hochmittelalters in Europa sind nicht die Kreuzzüge, sondern es ist die Blutfehde zwischen zwei Adelsgeschlechtern: den fränkischen Welfen und den schwäbischen Staufern. Welf bedeutet ‹Welpe‹ oder ‹Bärenjunges›. Das Blut dieser beiden Gegner vereinte sich nur in einem Mann, der zufällig auch ein Schützling von Bernhard von Clairvaux war. Er hatte den zweiten Kreuzzug überlebt und war Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geworden.
Kaiser Friedrich I., auch Barbarossa genannt, der als erster Herrscher das Blut dieser zwei mächtigen deutschen Geschlechter in sich trug, deren Privatkriege die Geschichte des Mittelalters bestimmt hatten, wurde als Retter des deutschen Volkes angesehen, als jemand, der es eines Tages einen würde, um in der Welt die Führung zu übernehmen.
Barbarossa schuf ein mächtiges Reich und ritt im Alter von Sechsundsechzig Jahren an der Spitze des dritten Kreuzzuges. Aber auf dem Weg ins Heilige Land ertrank er unter mysteriösen Umständen in einem Fluß in der südlichen Türkei. Der Legende nach schläft Barbarossa noch heute im Kyffhäuser in Thüringen, und in der Stunde der Not soll er den Deutschen zu Hilfe kommen.»
Man glaubte, das Blut in ihren Adern habe ihnen [den Merowingern] magische Kräfte verliehen: Sie konnten die Ernten verbessern, indem sie über die Felder gingen; sie konnten den Gesang der Vögel und die Rufe der wilden Tiere deuten; und sie waren unbesiegbar im Kampf vorausgesetzt sie schnitten sich nicht die Haare…
Pippin III. [dem ersten Karolinger] fehlten die magischen Kräfte im königlichen Blut. Deshalb suchte er den Segen der Kirche… um zu zeigen, daß sein Königreich nicht vom Blut, sondern von Gott kam. Damit war er der erste Monarch, der von Gottes Gnaden herrschte. Um die Bedeutung dieses Schritts zu unterstreichen, wurde Pippin bei zwei Anlässen gesalbt, das zweite Mal mit seinen Söhnen Karl [dem Großen] und Karlmann, um das neue Konzept der Herrschaft aufgrund göttlichen Rechts mit der germanischen Auffassung zu [kombinieren], wonach das Blut magische Kraft übertrug.
M ARTIN K ITCHEN , Cambridge Illustrated History of Germany TIBERIAS, GALILÄA
Frühling, A.D.39
Introitus
In dieser Zeit stand [Herodes Antipas] fast völlig unter dem Einfluß einer Frau, die ihm eine Menge Unheil bescherte. E MIL S CHÜRER , The History of the Jewish
People in the Age of Jesus Christ
Bei Weh und Ach, weshalb auch immer,
gehts meistens um ein Frauenzimmer.
G ILBERT & S ULLIVAN
Herodes Antipas, Tetrarch von Galiläa und Peraia, stand wie jeden Morgen mit ausgebreiteten Armen in der Mitte seiner königlichen Gemächer, während ihn drei Sklaven für seinen Auftritt vor den Bittstellern im Audienzsaal ankleideten. Sie hängten ihm die goldene Brustplatte mit den schweren Amtsketten um und legten ihm den roten Mantel um die Schultern. Als ihre Arbeit getan war, knieten sie nieder und wurden von dem freigelassenen Sklaven Atticus entlassen, der anschließend die vor der Tür postierten Wachen rief, damit sie den Tetrarchen vom Wohnflügel des riesigen Palastes in Tiberias zum Audienzsaal begleiteten.
Dieser lange Weg, den Herodes Antipas schweigend zurückzulegen pflegte, war die einzige Zeit des Tages, in der er Gelegenheit zum Nachdenken fand. Er wußte bereits, daß ihn etwas Unangenehmes erwartete: Es war der eben aus Baiae, der kaiserlichen Sommerresidenz, eingetroffene Bote, den Caligula entsandt hatte – jener Kaiser, bei dem Antipas auf keinen Fall vergessen durfte, daß
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