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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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habgieriger erwiesen als sein Stiefvater Claudius vor ihm, den Nero angeblich selbst ermordet hatte.
    Die Britannier waren auf brutale Weise von Scharen römischer Kolonisten enteignet worden, die sich im Schutz der Besatzungstruppen sicher fühlen konnten. Erst wenige Monate zuvor, nach dem Tod ihres Mannes, waren sie, die stolze Icenerfürstin sowie ihre beiden jungen Töchter, von römischen Offizieren v ergewaltigt, aus dem Haus geschleppt und öffentlich mit Eisenstangen geschlagen worden. Ihr Landbesitz war im Auftrag des Kaisers konfisziert, und das gesamte Hab und Gut ihrer Familie, wie das so vieler anderer, war nach Rom transportiert worden. Und trotzdem hatte sie noch Glück gehabt, denn überall wurden Britannier gefangen und als Sklavenarbeiter verkauft, die man zum Bau römischer Städte, römischer Garnisonen, römischer Wasserleitungen und römischer Straßen brauchte. Was war ihnen als Britannier noch geblieben? Sie hatten nur noch die Wahl zwischen Freiheit oder Tod.
    Während die Rosse stampften und schnaubten, stand sie schweigend neben ihren Töchtern im Wagen und sah hinunter auf die Menschen, die sich im weiten Rund um das offene Feld geschart hatten und erwartungsvoll zu ihr aufblickten.
    Als schließlich alle still waren, schlang sie die Zügel um den Knauf und öffnete die Falten ihrer mehrfarbigen Tunika. Sie nahm das Kaninchen heraus und hielt es in die Höhe, damit es alle sehen konnten. Es war ein schneeweißes heiliges Tier, das die Druiden eigens für diesen Zweck gezüchtet hatten. Von den rund achtzigtausend Menschen, die sich hier versammelt hatten – Männer, Frauen und Kinder – war kein einziger Laut zu hören. Nur das Wiehern eines Pferdes unterbrach die Stille. Dann ließ sie das Kaninchen laufen.
    Zuerst saß das Tier wie betäubt auf dem grünen Hügel, während unten Tausende von Menschen standen und warteten, stumm und reglos wie ein steinerner Wald. Dann rannte es plötzlich los, den Hügel hinunter und schnurstracks über das freie Feld – ein kleiner weißer Fleck auf grünen Grund. Es rannte nach Südwesten – weg von der Sonne – und als die Menschen das sahen, stießen wie wie mit einer Stimme einen Schrei aus, und dann jubelten sie und warfen ihre Decken in die Luft.
    Denn sie hatten gesehen, daß das prophetische Kaninchen geradewegs in die Richtung von Camulodunum rannte. Wenn sie sich beeilten, konnte Boudiccas Heer, das hier versammelt war, Camulodunum vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Und bis zum M orgengrauen würden sie sechzehn Jahre Mißbrauch und Mißhandlung in einer Orgie von römischem Blut von sich und ihrem Land reingewaschen haben.
    INSEL MONA (ANGELESEY), BRITANNIEN
    Frühling, A. D. 60

    Consignatio

    Hier am Ende der Welt, auf der letzten Insel der Freiheit, haben wir, geschützt durch unsere Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit, in Frieden gelebt bis zu diesem Tag. Nun liegen die meisten Gebiete Britanniens brach… nichts als Meer und Fels und feindliche Römer, die sich von ihrer Überheblichkeit weder durch Entgegenkommen noch durch bescheidene Zurückhaltung abbringen lassen. Raubtiere der Welt… Weder der Osten noch der Westen hat sie satt gemacht… Plündern, morden, stehlen – diese Dinge bezeichnen sie irrigerweise als Imperium. Sie haben die Welt zu einem Ödland gemacht, und das nennen sie Frieden.
    T ACITUS ; Agricola zitiert den britannischen Stammesfürsten Calgacus über die Römer

    Es ist das primäre Recht der Menschen, für das Land, in dem sie leben, zu sterben und zu töten, und alle Angehörigen ihres eigenen Volkes, die sich die Hände am Herd der Eindringlinge gewärmt haben, mit ungewöhnlicher Härte zu bestrafen.
    W INSTON C HURCHILL ,
    A History of the English-Speaking Peoples

    Sueton Paullinus wußte sehr wohl, daß es hier nicht nur um eine kurzzeitige Unterwerfung der Eingeborenen ging. Er hatte seine Laufbahn als Kommandant der römischen Truppen in Mauretanien begonnen, wo er im Atlasgebirge die Berberaufstände niederschlug, und viele Feldzüge mitgemacht, so daß er für einen Krieg auf schwierigem Gelände und auf einen sich leidenschaftlich wehrenden Gegner vorbereitet war.
    Aber in den zwei Jahren, seit er im Auftrag von Kaiser Nero das Amt des Statthalters in Britannien ausübte, war er zu der Erkenntnis gelangt, daß sich die Druiden von seinen bisherigen Gegnern wesentlich unterschieden.
    Sie waren, ob männlich oder weiblich, Herrscher und Seher zugleich und besetzten die höchsten

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