Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Priesterämter im Land. Von ihrem Volk wurden sie beinahe wie Götter verehrt. Sueton war sich klar, daß es auf Dauer gesehen nur einen Weg gab, um mit ihnen fertig zu werden: Man mußte sie völlig vernichten.
Ihr bedeutendstes Heiligtum lag unmittelbar vor der Küste von Cambria (Wales) auf der Insel der Mona – der Kuh, wie der Spitzname für Brighede, eine der Demeter ähnliche Mond- und Fruchtbarkeitsgöttin, lautete. Sie glaubten, diese Göttin würde sie beschützen, und ihre in der Schlacht gefallenen Krieger würden aus dem Kessel der Göttin verjüngt wiedergeboren. Der unterirdische Gang zu dem Kessel lag unter einem See nahe bei Monas heiligem Grab.
Sueton Paullinus hatte zwei Jahre gebraucht, um herauszufinden, wann der günstigste Zeitpunkt für einen Angriff auf diese vor der Küste liegende Festung sein würde. Schließlich erfuhr er, daß sich alle Druidenfürsten einmal im Jahr am 1. Tag des römischen Monats Mai auf Mona versammelten. Es war der Tag, den die Kelten Beltaine nannten wegen der taine oder Feuer, die sie in der Nacht zuvor entzündeten, um vor dem alljährlichen Besuch der Großen Mutter, die den Monat der Fruchtbarkeit einleiten würde, die heiligen Haine zu reinigen. Der 1. Mai war für die Druiden der heiligste Tag des Jahres, an dem niemand arbeitete oder Waffen trug – und deshalb konnte Sueton hoffen, daß sie an diesem Tag am wenigsten auf einen Angriff vorbereitet sein würden.
Er ließ Flachboote bauen, um seine Truppen über die schmale, aber wegen des oft starken Seegangs schwer zu befahrende Meerenge überzusetzen. In der Dämmerung am Vorabend des 1. Mai umrundeten sie in der schäumenden See die Südspitze der Insel, um im Westen, auf der vom Festland abgewandten Seite, bei Holy Head zu landen.
Als sich ihre Boote näherten, waren die Feierlichkeiten des Reinigungsrituals bereits im Gang, obwohl es noch nicht ganz dunkel war. Schattenhafte Gestalten bewegten sich mit brennenden Fackeln durch die Haine am Ufer. Die Sonne sank langsam ins blutrote Meer, als die römischen Soldaten durch die Brandung wateten, um ihre Schiffe auf den Strand zu ziehen. Doch plötzlich hielten sie inne, als sie sahen, was ihnen entgegenkam.
Eine ganz in Schwarz gekleidete Menschenmenge rückte wie eine Mauer gegen sie vor. Die männlichen Priester hoben die Arme zum Himmel und schrien ihnen Flüche und Verwünschungen entgegen. Dazwischen liefen wie schwirrende Insekten Frauen umher mit wild wehenden Haaren und brennenden Fackeln, und dann stürzten sie plötzlich wie Furien kreischend über den steinigen Strand direkt auf die römischen Soldaten zu.
Suetons Offiziere mußten zusehen, wie ihre Soldaten stehenblieben, eingeschüchtert und wie gelähmt von einer Horde brüllender Harpyien, die geradewegs aus dem Hades zu kommen schienen. Da rannte Sueton nach vorn zwischen die Front und die anstürmenden Frauen. Über den Lärm der Druiden hinweg brüllte er den Soldaten Befehle zu, fluchte und tobte, bis sich schließlich die Offiziere entschlossen, seinem Befehl zu folgen. «Schlagt sie tot!» schrien sie ihren Männern zu. «Schlagt sie tot!»
Die Frauen mit den Fackeln kamen auf sie zu. Ihr Gekreisch und die wütenden Schreie der Druidenpriester dröhnten den Soldaten in den Ohren.
Im letztmöglichen Augenblick griffen sie an.
Josef von Arimathäa stand neben Lovernios am Rand der Klippe. Als die Schreie vom Strand dort unten an sein Ohr drangen, wandte er sich voller Entsetzen Lovernios zu.
«Wir müssen ihnen helfen!» rie f er und packte seinen Freund am Arm. «Sieh doch! Wir müssen etwas tun! Sie verteidigen sich nicht einmal! Die Römer stecken sie mit den Fackeln in Brand – ihre Haare, ihre Kleider! Sie schlagen sie kurz und klein!»
Der Druide rührte sich nicht. Er zuckte nur leicht zusammen, als er über dem entsetzlichen Lärm und den Schreien das Klirren der Äxte hörte und begriff, worauf die Römer wirklich aus waren: Sie zerstörten den heiligen Hain.
Lovernios sah Josef nicht an, und er blickte nicht auf das Gemetzel am Strand, wo nicht nur sein Volk, sondern auch alles, woran sie geglaubt und was sie in Ehren gehalten hatten, vernichtet wurde. Es war das Ende ihrer Lebensweise, sogar das Ende ihrer Götter. Lovernios blickte hinaus auf das Meer, als könnte er in der westlichen Dämmerung einen anderen Ort sehen, eine andere Zeit in der fernen Vergangenheit oder einer noch ferneren Zukunft. Als er schließlich sprach, klangen seine Worte dumpf und wie von
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