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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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wissen wollte. Ich stellte mein Glas ab und wappnete mich innerlich, um ihr offen entgegenzutreten.
    «Ich finde, wir sollten etwas klarstellen. Denkst du wirklich, es gibt etwas ‹Ursprüngliches› und ‹Archetypisches›, das gewöhnliche Menschen für den Gedanken an Völkermord empfänglich macht?» fragte ich sie. «Denkst du, dein Freund Wolf war nur ein ganz gewöhnlicher Bursche mit einer Idee, für die die Zeit reif war? Und daß wir nur von einer Autorität die Erlaubnis brauchen, damit die meisten Leute ‹Führer, wir folgen dir› skandieren und das gleiche heute wieder tun? Also, ich will dir etwas sagen. Es gibt nichts Ursprüngliches, Archetypisches, bildlich oder biologisch gesprochen, das mich veranlassen könnte, etwas zu tun, ohne mir voll bewußt zu sein, was ich tue und warum ich es tue.»
    Ich zwang mich, in die klaren kalten Augen meiner entsetzlichen Großmutter zu schauen. Aber unglücklicherweise hatte sie noch längst nicht alles gesagt.
    «Ich hatte gehofft, Wolfgang hätte dir unmißverständlich gesagt, warum ich nach Paris gekommen bin», entgegnete ich kalt. «Ich dachte, du bist vielleicht die einzige lebende Person, die das Geheimnis von Pandoras Erbe und die vielen Geheimnisse rings um sie und unsere Familie herum erklären könnte. Ich bin nicht gekommen, um Nazipropaganda zu hören. Ich bin hier, um die Wahrheit zu erfahren.»
    «Du willst, daß alles wahr ist oder gelogen, gut oder böse, weiß oder schwarz. Aber das Leben ist nun mal nicht so – und es ist auch nie so gewesen. Die Samen für beides liegen in jedem von uns, und beide bekommen Wasser und wachsen nebeneinander. Und was unsere Familie – deine Familie – betrifft, so gibt es da einiges, vor dem du nicht die Augen verschließen solltest. Es wäre sogar sehr dumm von dir, einfach wegzuschauen, nur weil du die Dinge nicht fein säuberlich sortieren kannst. Es ist nicht immer leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen, nicht einmal, wenn die Ernte schon eingefahren ist.»
    «Oje, Gleichnisse waren noch nie meine Stärke», sagte ich. «Aber wenn deine Vorstellung von Wahrheit die ist, daß wir alle potentielle Massenmörder sind, sofern wir nicht von der richtigen Heugabel aufgespießt werden, dann bin ich anderer Meinung. Was bringt eine Gruppe von Menschen dazu, zu denken, man könnte eines Morgens aufstehen, die Nachbarn zusammentreiben und sie in einem Holocaust töten – wie es von Anbeginn der Geschichte immer wieder geschehen ist?»
    «Das ist nicht die richtige Frage», sagte Zoe, und ich dachte, ich hörte Dacian Bassarides.
    «Okay, und wie lautet die richtige Frage?»
    «Die richtige Frage lautet: Was bringt die Leute dazu, zu denken, daß sie es nicht können?»
    Ich sah sie einen ziemlich langen Moment starr an. Zugegeben, es war die richtige Frage. Trotzdem waren Zoes und meine Sicht der Dinge von Anfang an sehr unterschiedlich. Ich ging von der vielleicht naiven Voraussetzung aus, alle Menschen seien von Natur aus gut, aber auch fähig, sich in der Masse von den dunklen, hypnotischen Manipulationen eines einzelnen Mannes zu bösen Taten verführen zu lassen. Zoe – die diesen Mann tatsächlich kannte, das durfte ich nicht vergessen – vertrat den Standpunkt, daß wir mit der Veranlagung für Gutes und Böses geboren wurden und daß es nur eines kleinen Rucks bedurfte, um die Waage auf die falsche Seite zu kippen.
    «Kennst du denn überhaupt die Bedeutung des Wortes ‹Holocaust›?» fragte mich Zoe.
    «Holo-kaustos», erklärte Wolfgang. «Es ist Griechisch und heißt, ‹vollkommen verbrannt›. Wenn die Griechen ein Tier opferten und meinten, es sei ein gutes Opfer gewesen, dann nannten sie es ‹vollkommen verbrannt›.»
    Was in Gottes Namen redeten die beiden da? Ich rief mir ins Gedächtnis, daß ich mit diesen beiden Herzchen verwandt war, die hier so ruhig und unbekümmert über den größten Massenmord plauderten, als handelte es sich um einen atavistischen religiösen Ritus. Reichte es denn nicht, darauf hinzuweisen, daß Hitler angeordnet hatte, ihn nach seinem Tod wie ein Marshmallow zu braten, nur damit er im Tod einem sich selbst opfernden teutonischen Helden glich? Es war widerlich genug. Aber was sie jetzt andeuteten, wenn ich sie richtig verstanden hatte, war sogar noch schlimmer.
    «Das kann nicht euer Ernst sein», sagte ich. «Ihr wollt doch nicht sagen, Hitlers Tod sei Teil eines scheußlichen Ritus gewesen, zu dem ein riesiges Blutbad gehörte?»
    «Es ist ein wenig

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