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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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verzweifelt, beim Gedanken an unser «Frühstück» nicht zu erröten. Wolfgang drückte unter dem Tisch meine Hand.
    «Bringen Sie uns bitte ein paar Oliven», sagte er zum Kellner auf französisch, und anschließend meinte er zu Zoe: «In Amerika trinkt man so früh am Tag keinen Alkohol, ohne etwas dazu zu essen.»
    Ausgenommen meine trinkfreudige Familie, dachte ich. Wir hoben unsere Gläser und tranken auf das Leben. Beim ersten Schluck schmeckte das fremdartige, berauschende Getränk irgendwie nach Gefahr.
    «Ariel…» Zoe sprach meinen Namen aus, als wäre es ihr eigener. Ihre nächsten Worte erklärten den Grund dafür. «Nachdem deine Mutter unsere Verwandtschaft immer verheimlicht hat, weißt du vielleicht nicht, daß ich deinen Namen ausgesucht habe. Errätst du, nach wem du genannt wurdest?»
    «Wolfgang hat mir erzählt, Ariel sei ein alter Name für Jerusalem und daß er Löwin Gottes bedeutet», sagte ich. «Aber ich hatte mir immer vorgestellt, ich sei nach dem kleinen Luftgeist Ariel aus Shakespeares ‹Der Sturm› genannt, der von dem Zauberer Prospero gefangengehalten wird.»
    «Nein – du wurdest nach einem anderen Geist benannt, der aber nach dem Vorbild jenes ersten erfunden wurde», sagte Zoe. Und dann zitierte sie auf deutsch:

    «Ariel bewegt den Sang
    In himmlisch reinen Tönen;
    Viele Fratzen lockt sein Klang,
    Doch lockt er auch die Schönen…

    Gab die liebende Natur,
    Gab der Geist euch Flügel,
    Folget meiner leichten Spur:
    Auf zum Rosenhügel!»

    «Woraus ist das?» fragte ich.
    «Aus ‹Faust›», antwortete Wolfgang. «Es ist die Szene auf dem Brocken, die Walpurgisnacht – ein altes germanisches Fest, das Goethe in seinem Stück heraufbeschwört. Das Wort bedeutet ‹die Nacht, in der sie den Wald säubern› – mit Feuer.»
    Zoe sah Wolfgang an, als hätte das, was er eben gesagt hatte, eine zusätzliche, unausgesprochene Bedeutung.
    «In diesem Teil des ‹Faust› reinigt Ariel den Faust von allem, was er sich und anderen angetan hat», erklärte sie uns. «Und auf seiner Suche nach höherer Weisheit hatte Faust den anderen oft geschadet. Wißt ihr, daß diese Stelle Wolfs Lieblingsstelle war? Er weinte jedesmal, wenn er sie hörte.» Und dann fügte sie hinzu: «Den meisten ist gar nicht klar, daß er am 30. April 1945 starb – am Vorabend des 1. Mai. Das heißt, er hat sich und Eva in der Walpurgisnacht umgebracht.»
    «Wolf?» fragte Wolfgang verständnislos. Er hatte Lafs Geschichte nicht gehört und kannte deshalb auch nicht den Spitznamen, den unsere Familie dem übelsten Tyrannen auf dieser Erde verpaßt hatte. «Am 30. April 1945 hat Hitler Selbstmord begangen. War Hitler ‹Wolf›?»
    «Warum nicht?» bemerkte ich. «Wie es aussieht, war er ein Freund der Familie. Es erstaunt mich, daß du noch nichts davon gehört hast.» Aber es gab etwas, wovon ich noch nichts gehört hatte, und von mir aus hätte es dabei bleiben können.
    «Er war nicht eigentlich ein Freund», entgegnete Zoe bemerkenswert kaltblütig. «Man könnte sagen, er war ein Mitglied der Familie.»
    Und während ich mich von dieser Bemerkung zu erholen versuchte, fügte sie hinzu: «Ihr müßt wissen, daß ich ihn seit meiner Kindheit gekannt habe. Wolf war ein ganz normaler Mensch ohne besondere Fähigkeiten oder überdurchschnittliche Bildung. Aber er wußte, daß seine große Stärke in seiner Schlichtheit lag. Ich glaube, das war es, was ihn für viele um so erschreckender machte, denn darunter war etwas Ursprüngliches, das – ohne daß wir es wollen – in uns Anklang findet. Es war nicht nur die Massenhypnose, wie viele gerne glauben. Alles an Wolf war archetypisch: Er berührte in jedem von uns ein Stückchen Wahrheit.» Sie schwieg einige Augenblicke. Bei ihren nächsten Worten lief mir ein kalter Schauder über den Rücken. «Wolf wußte, er mußte den Leuten nur das Gefühl geben, das tun zu dürfen, was heimlich und verborgen in ihren Herzen schlummerte.»
    Zoe betrachtete mich kühl mit ihren stahlblauen Augen, während sie ihren pflaumenfarbenen Champagnercocktail trank, der wie Blut aussah. Der Sonnenschein wärmte plötzlich nicht mehr. Laf und alle anderen hatten mich gewarnt, Zoe sei eine überzeugte Nazikollaborateurin gewesen – aber das war, bevor ich hier saß, etwas trank, das nach ihr benannt war, und diese üblen Dinge aus ihrem eigenen Mund hörte. Und es war, bevor ich wußte, daß diese Person meine eigene Großmutter war! Kein Wunder, daß Jersey nichts von ihr

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