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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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weit her, wie das Echo aus einem tiefen bodenlosen Brunnen.
    «Als Esus starb, hattest du die Kraft deiner Weisheit», sagte er zu Josef. «Du hast gewußt, was zu tun war, und du hast es getan. Du versuchst, die Bedeutung seines Lebens und Sterbens zu verstehen, und du hast in diesen fast dreißig Jahren nie damit aufgehört. Echte Weisheit liegt aber nicht nur in der Erkenntnis, was getan oder nicht getan werden kann, sondern auch im Wissen, was getan werden muß – und, wie du selbst mir vor vielen Jahren gesagt hast, in der Erkenntnis des kairos, des richtigen Augenblicks.»
    «Bitte, Lovernios, dies ist der richtige Augenblick. Mein Gott!» rief Josef.
    Aber er mußte selbst erkennen, daß die Situation vollkommen hoffnungslos war. Er fiel auf die Knie, vergrub das Gesicht in den Händen und betete, während sich das Krachen der sterbenden Bäume in das furchtbare Schreien der Menschen mischte. Er hörte ihre gemeinsamen Todesschreie, die wie Geister über das Wasser wehten. Dann spürte Josef eine tröstende Hand auf seinem Haar, und die Stimme von Lovernios klang seltsam ruhig, als hätte er eine Hoffnung gefunden, die außer ihm niemand sah.
    «Die Götter fordern zwei Dinge von uns», sagte Lovernios. «Wir müssen sofort, noch heute nacht, aufbrechen und alle die mächtigen Gegenstände, die wir besitzen, opfern. Wir müssen sie in das heilige Wasser des Llyn Cerrig Bachs werfen, in den See der kleinen Steine.»
    «Und was dann?» flüsterte Josef.
    «Wenn sich dann das Blatt nicht wendet», sagte Lovernios ernst, «kann es sein, daß wir den Boten senden müssen…»
    Der Bote aus dem Süden war an der gegenüberliegenden Seite der Insel kurz nach Sonnenaufgang angekommen, während Sueton Paullinus zusah, wie der letzte Baum fiel. Es war ein alter Baum, den zu fällen seine Legion die ganze Nacht benötigt hatte.
    Der Baum hatte einen Umfang von über sechzig Fuß. Als er jetzt auf der Seite lag, war er so hoch wie eines der dreistöckigen Gebäude, die sie an der afrikanischen Küste gebaut hatten, als er in Mauretanien stationiert war. Wie alt konnte ein Baum werden, fragte sich Sueton Paullinus. Würde er so viele Ringe haben wie die Anzahl der Leben, die seine Soldaten in der vergangenen Nacht getötet hatten? Würde der Tod dieses Baumes endlich den Tod der Druiden bedeuten – was diese Druiden ja selbst zu glauben schienen?
    Doch dann wandte sich Sueton praktischeren Dingen zu. Er befahl, die schwarz gekleideten Leichen der toten Druiden einzusammeln und zu verbrennen. Dann fiel ihm ein, was ihm der Kaiser eigens aufgetragen hatte, und er schickte einen Kundschaftertrupp in das Innere der Insel. Nero hatte geschrieben, nach dem, was er von seinem verstorbenen Stiefvater (und Großonkel) Claudius wisse, habe er Grund zu der Annahme, daß die Druiden viele wertvolle Schätze in solchen Festungen wie auf Mona aufbewahrten, und er wolle sofort von solchen Funden unterrichtet werden.
    Nachdem die Befehle zur Ausführung dieses wichtigen Auftrags erteilt waren, erinnerte sich Sueton Paullinus des Boten und ließ ihn zu sich bringen. Der Soldat sah ziemlich mitgenommen aus nach seiner langen Reise. Die nasse Kleidung und das ungepflegte Aussehen des Mannes, so wurde ihm gemeldet, sei außerdem auf die Tatsache zurückzuführen, daß er auf seinem Pferd vom Festland auf die Insel geschwommen und eben erst angekommen sei.
    «Laß dir Zeit und komm erst einmal zu Atem», sagte Sueton beruhigend zu dem Boten. «So aufregend deine Nachricht auch ist, schlappmachen darfst du erst, wenn du sie abgeliefert hast.»
    «Camulodunum – » keuchte der Bote.
    Sueton bemerkte erst jetzt, wie krank der Mann aussah. Seine Lippen waren blutverkrustet, und die Augen irrten ziellos umher.
    Sueton ließ dem Mann einen Beutel mit Trinkwasser geben. Als er getrunken und Staub und Salz aus der Kehle gewaschen hatte, nickte der Statthalter und befahl dem Mann fortzufahren. Aber der Bursche machte noch immer einen verwirrten Eindruck. Obwohl alle seine Männer abgehärtete Soldaten waren, fragte sich Sueton, ob diesen hier vielleicht der Anblick der Leichen, in denen sie praktisch wateten, um den Verstand gebracht hatte.
    «Also, was bringst du?» fragte Sueton in forderndem Ton. «Du bist viele Meilen geritten, und das auf halsbrecherische Weise. Du hast mir etwas Wichtiges über Camulodunum zu melden.»
    «Alle sind tot», krächzte der Bote. «Tausende – Zehntausende – alle tot. Und die Stadt, der Tempel des Claudius –

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