Neville, Katherine - Der magische Zirkel
jeder nahm sich ein Fladenstück heraus. Lovernios nahm sich das letzte. Als Josef seine Hand öffnete, sah er, daß er nicht das geschwärzte Stück bekommen hatte. Halb erleichtert, halb unbehaglich sah er die anderen an, während einer nach dem anderen aufblickte. Dann lächelte der große junge Mann, der den gleichen roten Haar- und Bartwuchs hatte wie sein Vater Lovernios. Er hob den Handteller, auf dem das geschwärzte Fladenstück lag, und zeigte es allen. Sein Lächeln war so strahlend, daß es Josef für einen Augenblick an den Meister erinnerte.
Josef wäre nie eingefallen, die Zeremonie zu stören, was auch geschehen würde, aber er hatte nicht erwartet, daß Belinus derjenige sein würde. «Nein!» hörte er sich laut sagen.
Lovernios legte beruhigend die Hand auf Josefs Arm. Dann warf er den anderen Arm um die Schulter seines Sohnes und drückte ihn mit einem fast stolzen Blick an sich.
«Laß es mich sein», sagte Josef leise zu Lovernios. «Nicht deinen Sohn. Er ist erst dreiundreißig Jahre alt und hat noch sein ganzes Leben vor sich. Ich bin fast siebzig und ein Versager.»
Lovernios warf den Kopf in den Nacken und lachte laut, was Josef unter diesen Umständen unpassend fand.
«Wenn das so ist, mein Freund», sagte er zu Josef, «warum hast du dich dann angeboten? Was könntest du uns oder gar den Göttern als Versager nützen? Belinus ist der richtige Mann – stark, gesund, makellos. Und er kann der vollkommene Diener sein. Er kann sich dem Willen der Götter unterwerfen. Frag ihn, ob er nicht glücklich ist, uns als Bote zu dienen.»
Plötzlich sah Josef wieder den Meister vor sich, wie er beim letzten Abendmahl den anderen die Füße gewaschen hatte. Er fragte sich nur, warum er immer weinen wollte, wenn er an etwas tief Bewegendes dachte, statt sich angeregt oder beflügelt zu fühlen. Belinus lächelte Josef fast glückselig zu, während er sich das angekohlte Fladenstück in den Mund schob. Als er es gegessen hatte, umarmte er Josef und wiegte ihn sanft an seiner breiten Brust.
«Josef, Josef», sagte er. «Weißt du, ich werde nicht sterben. Ich gehe ins ewige Leben. Du mußt dich mit mir freuen. Wenn ich deinen Esus drüben sehe, werde ich ihn von dir grüßen.»
Josef hielt sich die Hand über die Augen und schluchzte, aber Belinus sah Lovernios nur mit einem belustigten Achselzucken an, was soviel besagte wie: Nun lebt er seit Jahren bei den Druiden und denkt immer noch wie ein Heide oder ein Römer.
Während Josef versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen, bedeutete Lovernios seinen Kelten, sie könnten jetzt aus dem Wald herauskommen. Einer nach dem anderen trat an Feuer, um sich segnen zu lassen. Dann trugen sie ihre Schätze aus Gold und Kupfer zum Seeufer und übergaben sie dem Wasser. Als sie alle Gefäße, Halsringe und selbst Sklavenketten versenkt hatten, reihten sie sich hinter Lovernios ein und zogen vom Feuer weg um den See herum zu der Niederung, wo die Torfmoore lagen. Wolkenschleier schoben sich über den Mond und tauchten das Land in ein unheimliches Halbdunkel.
Am Rand des bodenlosen Moors kniete Belinus nieder und hob die Hände. Die zwei jüngeren Männer, die sich neben Josef und Lovernios ebenfalls freiwillig für diese Rolle gemeldet hatten, zogen Belinus die Kleider aus. Lovernios wartete, bis sein Sohn völlig nackt war; dann reichte er ihm das Band aus Fuchspelz, und Belinus streifte es sich über den Arm. Er senkte den Kopf und legte die Hände auf den Rücken, um sich mit Lederriemen fesseln zu lassen. Nachdem ihm die Männer eine Lederschlinge um den Hals gelegt hatten, sagte Belinus über das Moor gebeugt.
«Mutter, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.» Josef hatte das Gefühl, als schnitten Messer in seine Seele.
Mit angehaltenem Atem sah er zu, wie Lovernios nach dem weichen Ledersack griff und das rasiermesserscharfe Jagdbeil herausnahm. Er hielt es hoch über den Kopf und hob die Augen zum Himmel. Da kam der Mond zwischen den Wolken wieder zum Vorschein und überflutete die Landschaft mit seinem Licht. Die Kelten standen schweigend am Rand des Moors. Josef kamen sie vor wie ein Wald aus betenden Bäumen. Dann rief Lovernios mit singender Stimme:
«Das ist der Tod durch Feuer. Durch den Blitz des Gottes empfehlen wir dich Tarani.»
Belinus zuckte nicht zurück, als das Beil niederfuhr. Es war ein schneller und sicherer Schlag – und doch dachte Josef, er hätte ihn einmal keuchen gehört, als die scharfe Klinge mit einem knirschenden
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