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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Feldbestellung zu ihrem Rachefeldzug aufgebrochen waren, hatte es keine Ernte gegeben, und den ganzen Winter über herrschte Hungersnot. Nun gab es für die Römer ein schier unerschöpfliches Angebot an einheimischen Sklavenarbeitern, bei dem jede Kolonie gedeihen mußte. Und es kamen mehr Siedler als in der Zeit vor dem Aufstand ins Land. Die Römer würden Londinium bald wieder aufbauen, dachte Josef, diesmal aus festen und dauerhaften Steinen und Ziegeln statt aus Lehm und Flechtwerk. Es würde Befestigungsanlagen geben und Garnisonen. Und den fadenscheinigen Anschein von Höflichkeit, den sich die Römer bislang gegenüber den Einheimischen gegeben hatten, konnten sie sich nun auch schenken.
    Als er in jener Mordnacht auf der Insel Mona die von ihm als heilig verehrten Gegenstände des Meisters zusammen mit den heiligen Gegenständen der Druiden in den Llyn Cerrig Bach geworfen und zugesehen hatte, wie sie im dunklen Wasser des Sees verschwanden, da hatte er gewußt, daß dies das Ende einer Ära war. Aber was von all dem, das sie einst erhofft und geplant hatten, war wirklich erreicht worden? Was würde aus den Gegenständen werden, von denen der Meister gewollt hatte, daß sie sie sicher aufbewahrten? Würden sie je wiederauftauchen? Würde der Meister je wiederkommen?
    Dreißig Jahre waren seit dem Tod des Meisters vergangen. Josef war jetzt fast siebzig, und alles, wofür er gekämpft hatte und was er erhalten wollte, schien unter seinen Füßen weggeschwemmt zu werden. Als er zum Beispiel letztes Jahr in den Süden Britanniens zurückgekommen war, mußte er feststellen, daß die kleine Kirche, die er in Glastonbury errichtet hatte, wie fast alles hier im Süden während des Aufstands zerstört und verbrannt worden war.
    Es schien, als ob alles, wofür er gelebt und wofür der Meister gestorben war, wie eine Wolke über ihn hinwegzog und am Horizont verschwand. Sogar jene Worte des Meisters, für deren Bewahrung Josef und Miriam so lange gekämpft hatten, befanden sich wieder in Tonzylindern verstaut in einer Höhle in den kambrischen Bergen. Und da ihnen eine so stolze mündliche Überlieferung fehlte, wie sie die Druiden gepflegt hatten, die die Worte und Taten des Meisters für immer im Gedächtnis bewahren würden, schien ihrer aller Leben in jenes Niemandsland irgendwo zwischen Erinnerung und Mythos zu rücken.
    Eroberer schrieben Geschichte, so hieß es häufig – aber Geschichte, dachte Josef, war etwas, das bereits geschehen war, etwas Vergangenes und Abgeschlossenes. Und was war die Zukunft? Um das herauszufinden, kehrte er jetzt in den Norden zurück.
    Denn die Druiden, die ihm in den vergangenen dreißig Jahren geholfen hatten, die Philosophie des Meisters hier in Britannien sowie jenseits der Meerengen in Hibernia (Irland) und Gallien zu verbreiten, wurden heute von den Römern wie wilde Tiere gejagt. Aber ihr tief religiöses Gefühl für das Leben und das Land, ihre alte keltische Kultur und jener merkwürdige Hang zum Mystizismus, den sie bei sich und anderen nährten, ließen Josef hoffen, sie könnten ihn vielleicht wieder mit der Botschaft in Verbindung bringen, die ihm der Meister vor so vielen Jahren aufgetragen hatte – vielleicht sogar mit dem Meister selbst. Deshalb hatte er sich als Bote
    angeboten.
    Zum ersten Mal seit dreißig Jahren wußte Josef mit Sicherheit, daß ein Ereignis von großer Bedeutung bevorstand – ob in gutem oder schlechtem Sinn, konnte er nicht sagen.
    BLAKE LAKE, BRITANNIEN

    Beltaine, A.D. 61

    Die Sendung des Boten

    Alle guten Dinge, liebe Klea, müssen vernünftige Menschen von den Göttern erbitten.

    P LUTARCH ; Isis und Osiris zu Klea, Priesterin von Delphi
    Es war Mitternacht, als die römischen Wachposten abzogen. Erst jetzt konnten sie es wagen, ein Feuer zu machen. Der Rest des Stammes blieb noch in einiger Entfernung im schützenden Dunkel des Waldes.
    Josef stand mit drei anderen eigens ausgewählten Männern neben dem Feuer und sah schweigend zu, wie Lovernios, dessen Haut im Feuerschein wie Bronze glänzte, etwas Wasser aus dem See mit dem Mehl von fünf Getreidesorten mischte und einen Fladen zubereitete, den er in feuchte Blätter wickelte und in die heiße Asche legte. Als der Fladen gebacken war, rollte er ihn auf und ließ eine Ecke ein wenig anbrennen. Dann brach er den Fladen in fünf Stücke, vier gebackene und ein verbranntes, und legte sie in eine Schüssel.
    Jedem der Männer, die beim Feuer standen, hielt er die Schüssel hin, und

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