Neville, Katherine - Der magische Zirkel
ausgearbeitet hatte, war wunderbarerweise auch meistens mein Problem gelöst. Aber ich erinnerte mich nicht, dieses Stück Garn gestern nacht auf meiner Heimfahrt oder heute morgen auf der Fahrt zur Arbeit gesehen zu haben. Mein Gedächtnis spielte verrückt.
Ich berührte den Knoten, als es im Wagen allmählich warm wurde. Es waren in Wirklichkeit zwei Knoten, wenn man den Teil, der um die Halterung des Spiegels gewickelt war, dazurechnete: ein Salomonsknoten, der eine kritische Entscheidung anzeigte, und eine schlüpfrige Schlinge, die genau das bedeutete, was sie war. Was hatte ich mir dabei gedacht? Ich nahm das Garn in die Hand und spielte damit. Olivier hatte das Radio angeschaltet und einen Sender mit seiner geliebten näselnden Cowboy-Musik eingestellt. Ich bedauerte, daß ich ihn in meinen Wagen eingeladen hatte – schließlich verbrachten wir neunzig Prozent unseres Lebens unter demselben Dach. Dabei fiel mir ein, daß ich weder von Olivier noch von sonst jemand Spuren gesehen hatte, als ich vergangene Nacht – oder vielmehr heute morgen – nach Hause gekommen war. Trotz Schneegestöber und Wind hätte doch irgend etwas darauf hinweisen sollen, daß er da war. Warum hatte er nicht wenigstens einen Teil meiner Post ins Haus gebracht, wenn er die ganze Zeit am Ort war?
«Olivier, wo warst du, während ich fort war?» Olivier sah mich mit seinen dunklen Augen an und küßte
mich leicht auf die Wange.
«Darling, ich muß dir gestehen», sagte er, «daß ich ein Cowgirl getroffen habe, dem ich nicht widerstehen konnte.»
«Du hast den Blizzard bei einem Cowgirl verbracht?» sagte ich überrascht, denn Olivier war nicht der Typ, der mal eben bei einem Mädchen übernachtete. «Klär mich auf. Ist sie hübsch? Ist sie eine Mormonin wie du? Und wo war Jason unterdessen?»
«Ich habe den kleinen Burschen mit einer großen Schüssel Futter zu Hause gelassen. Und zum Trinken geht er an den Wasserhahn. Was die Dame betrifft, so würde der Imperfekt unsere Beziehung am besten beschreiben. Dahingeschmolzen wie der Schnee und zu Eis erkaltet.»
Sehr poetisch.
«Ich muß nächstes Wochenende nach Sun Valley», sagte ich. «Wirst du Jason wieder allein lassen, oder soll ich ihn mitnehmen?»
«Gehst du Ski laufen?» fragte Olivier. «Warum nimmst du uns nicht beide mit? Ich habe schon überlegt, wo man diesen Neuschnee am besten nützen könnte. In Sun Valley haben sie einen Meter Neuschnee an den Hängen – und in den Senken eineinhalb Meter Pulverschnee.»
Olivier war ein ausgezeichneter Skiläufer und schwang leicht wie eine Feder durch den Pulverschnee. Ich kam mit dem Tiefschnee nicht so gut zurecht, aber ich schaute Olivier gern von weitem zu.
«Ich werde wahrscheinlich kaum Zeit zum Skilaufen haben», sagte ich, «weil mein Onkel dort sein wird. Er möchte Familienangelegenheiten besprechen.»
«Du scheinst viel Aufmerksamkeit von deiner vormals abwesenden Familie zu bekommen, jetzt, nachdem du eine Erbin bist», sagte Olivier. Gleich darauf tat ihm seine Bemerkung sichtlich leid.
«Ist schon okay, Olivier», sagte ich. «Ich komme drüber weg. Abgesehen davon ist mein Onkel selbst sehr wohlhabend. Er ist ein berühmter Geiger und Dirigent…»
«Doch nicht etwa Lafcadio Behn? Ist das dem Onkel?» fragte Olivier. «Ich habe mich schon immer gefr agt, ob du mit einem der berühmten Behns verwandt bist, denn sehr viele Behns gibt es nicht.»
«Wahrscheinlich bin ich mit ihnen allen verwandt.» Das Entwarnungssignal kam in dem Moment, als ich zu
Olivier sagte, wenn er Lust habe, könne er mit nach Sun Valley kommen. Zögernd schaltete ich den Motor aus, um in die bittere Kälte hinauszugehen. Als ich den Wagen abschloß, erinnerte ich mich, daß ich ihn vorhin auch abgeschlossen hatte. Jemand war in meinen Wagen eingebrochen.
Ich sah im Kofferraum nach, wo die Lehne des Rücksitzes umgeklappt war; aber es war alles noch da, was ich gewöhnlich im Auto hatte, wenn auch ein wenig anders angeordnet. Jemand hatte den Wagen durchsucht. Ich schloß die Tür wieder ab – es war eine Art Reflexhandlung – und folgte Olivier zum Hintereingang, wobei ich meinen Boss, Pastor Dart, der das gleiche Ziel hatte, beinahe umrannte.
«Hallo Behn – da sind Sie ja wieder!» sagte er, während ein Lächeln über sein bulliges Gesicht huschte. «Kommen Sie in einer halben Stunde in mein Büro. Ich habe eine Menge mit Ihnen zu besprechen.»
Ich sagte dem Pod, ich würde zu ihm kommen, und ging in mein Büro, wo das
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