Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Geschenk, das mir die Götter als Trost für meinen toten Cousin Sam geschickt hatten und das ich verpaßt hätte, wenn ich durch den vorgeschriebenen Hintereingang gegangen wäre. Nicht auszudenken!
Er sah tatsächlich ein wenig wie meine Bilderbuchvorstellung von einem Gott aus. Sein dunkles volles Haar war elegant bis auf Kragenhöhe geschnitten. Er war groß und schlank und hatte dieses wie gemeißelte Profil, das man stets mit Helden verbindet. Der weiche Kamelhaarmantel und der weiße Seidenschal hingen lässig von seinen breiten Schultern. Die teuren italienischen Lederhandschuhe hielt er zwischen langen, anmutigen Fingern.
Seine Haltung und dieses hoheitsvolle, distanzierte Auftreten grenzten an Arroganz. Aber als er der Sicherheitsbeamtin Bella – die ihn anglotzte – den Rücken kehrte und in meine Richtung ging, sah ich, daß seine Augen unter den dunklen Wimpern von tiefem, dunklem Türkis, ja nahezu Indigoblau waren. Sein Blick streifte mich; seine Augen wurden für einen Moment schmäler, und mir wurde klar, daß ich in dieser Aufmachung die erotische Ausstrahlung eines Eisbären hatte.
Er kam auf mich zu. Er wollte zum Ausgang. Er würde das Gebäude verlassen! Ich mußte etwas tun – in Ohnmacht fallen oder mit ausgebreiteten Armen den Ausgang versperren. Statt dessen schloß ich die Augen und roch ihn, als er vorüberging – eine Mischung aus Tanne, Leder und Zitrone, die mich leicht benommen zurückließ.
Möglich, daß mir meine Einbildung einen Streich spielte, aber mir war, als hätte er mir im Vorübergehen etwas zugeflüstert: «Exquisit.» Vielleicht hatte er auch nur «excuse me» gesagt, denn ich schien den Ausgang zumindest teilweise zu versperren. Als ich die Augen öffnete, war er gegangen.
Ich wollte im Dienstbuch nachsehen, aber als ich an Bellas Schreibtisch trat, hatte sie sich wieder gefangen und klatschte ein Blatt Papier auf das aufgeschlagene Buch. Als ich überrascht aufblickte, funkelte sie mich wütend an.
«Sie haben die Schleusen zu benutzen, Behn», fauchte sie und wies auf die Tür, die nach draußen führte. «Und das Dienstbuch darf nur von der Geschäftsleitung eingesehen werden.»
«Jeder Besucher, der sich hier einträgt, kann das Buch lesen und sehen, wer hier war», erwiderte ich. «Warum nicht auch die Angestellten? Das ist ja eine ganz neue Vorschrift.»
«Sie arbeiten bei der nuklearen Sicherheit, nicht beim Gebäudeschutz – deshalb kennen Sie sie nicht», sagte sie herablassend.
Bevor sie wußte, wie ihr geschah, zog ich das Blatt unter ihren mauve-farben lackierten Fingernägeln weg und las:
Prof. Dr. Wolfgang K. Hauser; IAEA; Krems, Österreich.
Ich hatte keine Ahnung, wo Krems in Österreich lag. Aber IAEA war die Internationale Atomenergiebehörde, die die Atomindustrie weltweit beaufsichtigte. Österreich selbst gehörte nicht zu den Kernenergie produzierenden Ländern. Trotzdem erhielten hier einige der besten Atomexperten der Welt ihre Ausbildung. Ich hätte zu gern mehr über Prof. Dr. Wolfgang K. Hauser erfahren.
Ich lächelte Bella an und krit zelte meinen Namen ins Dienstbuch.
«Ich habe eine dringende Verabredung mit meinem Chef, Pastor Dart. Er hat mich gebeten, so schnell wie möglich aus dem anderen Gebäude herüberzukommen», erklärte ich ihr, während ich meinen Mantel auszog und ihn an den Garderobenständer der Lobby hängte.
«Das ist gelogen. Dr. Dart ist noch mit Besuchern aus Washington beim Essen», sagte Bella mit einem gemeinen Ausdruck im Gesicht. «Ich weiß es, weil er sich mit ihnen vor über einer Stunde ausgetragen hat. Hier, Sie können selbst nachsehen…»
«Ah, auf einmal ist das Dienstbuch nicht mehr nur Chefsache», sagte ich grinsend und verschwand durch die innere Tür.
Olivier saß in dem Büro, das wir uns in diesem Gebäude teilten, und spielte an seinem Computer. Wir waren die Leiter der Abteilung, die Atommüll wie Brennstäbe oder anderes transuranisches Material, also Stoffe, die eine höhere Atomzahl hatten als Uran, zu erfassen, zu sichern und zu verwalten hatte. Das Material wurde von Computern erfaßt, deren Programme unsere Computergruppe entwickelt hatte.
«Wer ist Professor Dr. Wolfgang K. Hauser von der IAEA in Österreich?» fragte ich Olivier, als er von seinem Apparat aufblickte.
«O Gott – nicht du auch noch!» stöhnte er, während er seinen Drehstuhl zurückschob und sich die Augen rieb. «Du bist doch erst seit ein paar Minuten wieder an deinem Arbeitsplatz. Wie konntest du
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