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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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dieses, ein Fläschchen, gefüllt mit Zeit, ausgrub und die so lang verstummte Stimme der Vergangenheit freiließ, öffnete man eine Tür, die vielleicht besser geschlossen geblieben wäre -eine Büchse der Pandora.
    Heute nacht war das Lied der Sibylle, das so lange in der Finsternis unter dem Vulkan geschlummert hatte, geweckt worden, um zum ersten Mal nach fast zweitausend Jahren wieder von Menschen vernommen zu werden.

    Also befahl uns [Jesus], daß wir uns bei den Händen nehmen und einen Kreis bilden, und er selbst stellte sich in die Mitte und sagte: «Antwortet mir mit Amen.» Dann begann er zu singen und zu sagen…

    Tanzt, ihr alle…
    Zum Universum gehört der Tänzer.
    Wer nicht tanzt, weiß nicht, was geschieht…
    Wenn ihr jetzt meinem Tanz folgt, seht euch selbst in mir, der ich spreche,
    Und wenn ihr gesehen habt, was ich sehe,
    bewahrt Stillschweigen über meine Geheimnisse.
    Ich sprang: Aber versteht ihr das Ganze?

    J OHANNESAKTEN
    aus den Apokryphen des Neuen Testaments JERUSALEM

    Frühjahr, A.D. 32

    Montag

    Pontius Pilatus steckte in Schwierigkeiten – in ernsten Schwierigkeiten –, und es erschien ihm wie eine bittere Ironie, daß zum ersten Mal in seiner siebenjährigen Amtszeit als römischer Präfekt in Judäa die verflixten Juden nicht daran schuld waren.
    Er saß allein hoch über der Stadt Jerusalem auf der Terrasse des Palastes, den Herodes der Große erbaut hatte. Von hier aus sah er die Westmauer und das Jaffator. Weiter unten tauchte die sinkende Sonne das Laub der Granatapfelbäume der königlichen Gärten und die goldenen Taubenkäfige des Herodes in flammendes Licht. Hinter den Gärten, am Berg Zion, standen die Akazien in voller Blüte. Aber Pilatus konnte die schöne Umgebung nicht genießen. In einer halben Stunde mußte er die Truppen inspizieren, die wegen der bevorstehenden jüdischen Feiertage nach Jerusalem verlegt worden waren. Bei diesen Festen, mit all den Pilgern in der Stadt, ging meistens etwas schief. Ihm graute vor einem weiteren dieser Debakel, wie er sie in der Vergangenheit erlebt hatte. Trotzdem war das längst nicht sein größtes Problem.
    Pilatus stand auf und ging rastlos auf der Terrasse auf und ab. Aus den Berichten seiner Behörde – einem Nest von Spionen
    und Informanten, die für den Gouverneur eines jeden unterjochten Volkes lebenswichtig waren – ging hervor, daß es seit einiger Zeit einen Juden gab, der in der Wildnis umherzog und wie schon viele vor ihm behauptete, er sei der inunctus – der Gesalbte. Die Griechen nannten ihn christos – bedeckt mit Chrisam oder Öl –, und bei den Juden hieß er mashiah, was das gleiche bedeutete. Man hatte ihm erklärt, es sei eine ganz alte Geschichte im Glauben der Juden, daß plötzlich jemand komme, der sie von jeder Knechtschaft, in der sie sich zu befinden glauben, befreien und die ganze Welt in ein von Juden regiertes Paradies verwandeln würde. In letzter Zeit schien die Sehnsucht, einen solchen gesalbten König zu sehen, einen fieberhaften Höhepunkt erreicht zu haben.
    Nach dem jetzigen Stand der Dinge hatte dieser neue Kandidat die Unterstützung des Sanhedrin – des Hohen Rats der Juden – und eine große Anhängerschar unter den Essenern, die vor ein paar Jahren einem Verrückten nachgelaufen waren, der sie ins Wasser tunkte. Diesen Mann hatte Herodes Antipas, der jüdische Tetrarch von Galiläa, enthaupten lassen – angeblich auf Wunsch seiner Stieftochter Salome, weil der Kerl seine Frau Herodias eine Hure genannt hatte. Und jetzt fürchtete Antipas diesen neuen Gesalbten, weil er ihn für die Wiedergeburt des Wasserpantschers hielt, den er um einen Kopf kürzer gemacht hatte, und glaubte, dieser sei gekommen, um sich zu rächen.
    Aber es gab einen Dritten in diesem Spiel: den jüdischen Hohepriester Kajaphas, eine Marionettenfigur Roms, der über eine größere Polizeitruppe in Jerusalem verfügte als Pilatus und dem ebenfalls viel daran lag, Aufrührer loszuwerden, die das Römische Reich und eine zivilisierte Herrschaft stürzen wollten. Kajaphas und Antipas haßten und fürchteten die Juden, und der Sanhedrin und die Getauften unterstützten ihn, und das war um so besser, denn wenn dieser Jude über den Jordan ging, würde er alle mit sich reißen.
    Pilatus blickte über die Ebene jenseits der Westmauer, wo die Sonne gerade unter den Horizont sank. Im Hof hinter ihm traten die Soldaten an wie vor jedem Fest. Sie würden mit den Pilgerscharen fertig werden, die in die Stadt

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