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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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und ließ die Skispitzen zwischen meine Ski gleiten wie Finger, die sich ineinanderschieben. Dann warf er die Arme um mich, genau so wie ich es auf jenem Berg vor fast achtzehn Jahren getan hatte. Er roch nach sonnengebräunter Haut und Holzrauch.
    Das Gesicht in meinen Haaren vergraben, flüsterte er: «Gott sei Dank, Ariel. Du lebst, du bist unversehrt!»
    «Was ich nicht dir zu verdanken habe», murmelte ich an seine Schulter gepreßt.
    Dann schob er mich ein Stück von sich und versuchte, mich in der vormorgendlichen Dunkelheit anzusehen, die nur durch das milchige Mondlicht und den bläulich schimmernden Schnee erhellt wurde.
    Zum ersten Mal wurde mir erschreckend klar, daß ich Sam gut sieben Jahre nicht gesehen hatte. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, daß er sich in all der Zeit verändert haben könnte. Aber da stand er – groß, breitschultrig, ein erwachsener Mann mit dem Profil seines Vaters, meines Onkels Earnest, dem dunklen Haar seiner Mutter, das ihm auf die Schultern fiel, und den geheimnisvollen silbergrauen Augen, die von innen zu leuchten schienen. Mit einem gewissen Unbehagen registrierte ich, daß hier nicht mehr mein jugendlicher Mentor und Blutsbruder vor mir stand, sondern ein unglaublich gutaussehender Mann. Und so überrascht, wie er mich ansah, mußte seine Reaktion auf mich ziemlich ähnlich sein.
    «Wo ist die kleine B ohnenstange geblieben mit den aufgeschürften Knien, die mir überallhin nachgelaufen ist?» sagte er mit einem merkwürdig verlegenen Lächeln. «Hotshot – du bist umwerfend!»
    «Das war der Schneeball auch», sagte ich und war ebenso verlegen. Es fiel mir tatsächlich schwer, Sam anzusehen, bevor ich mich an die Vorstellung gewöhnt hatte, daß er und ich plötzlich erwachsen waren.
    «Es tut mir leid», sagte er, während er mich immer noch wie eine fast fremde Person betrachtete. «Ich glaube, mehr kann ich nicht sagen, Ariel. Es tut mir aufrichtig leid, daß dies alles passiert ist und daß ich dich hineingezogen habe.»
    «Leid tun hilft nichts», sagte ich, wieder einmal Jerseys Lieblingsausspruch zitierend. Aber ich lächelte, und er lächelte zurück. Dann wußte ich, daß ich ihm sofort alles erzählen mußte.
    «Sam», sagte ich, «ich habe auch etwas getan, und es tut mir mehr leid als alles, was ich je in meinem Leben verbockt habe. Hoffentlich habe ich dir dadurch nicht alles kaputtgemacht oder uns beide in noch größere Gefahr gebracht. Ich habe etwas furchtbar Dummes getan. Ich habe jemand eine ganze Nacht lang in einem Zimmer gelassen mit dem Runenmanuskript.»
    Sam sah mich mit ständig wachsendem Entsetzen an, bis ich meine Schandtat beim Namen nannte. Und dann war die Überraschung auf meiner Seite.
    «Welches Runenmanuskript?» fragte Sam.
    Ich hatte das Gefühl, wenn ich noch mehr solche Tiefschläge verkraften müßte, würde mein Herz bald nicht mehr schlagen, sondern nur noch auf und ab hüpfen wie ein Jo-Jo. Aber ein paar Meilen Langlauf mit Sam über die hochgelegenen Weiden wirkten wie eine Thoraxmassage. Als wir die Hütte erreichten, war ich wieder in Ordnung; zumindest hatte ich meine Fähigkeit zu sprechen wiedererlangt.
    Ich hatte inzwischen auch den Grund für die Verlegung unseres Treffpunkts erfahren. Sam fühlte sich in letzter Zeit so gefährdet, daß er Hotels mied; seit seinem vorgetäuschten Tod hatte er in Jagdhütten, in Unterständen von Entenjägern und in Heuschobern übernachtet, die es überall in Idaho gab und die um diese Jahreszeit nicht benutzt wurden. Als er etwas früher als ich in Sun Valley eintraf, stellte er fest, daß es in der Nähe des Skiberges keine solche Unterkunft gab. Also machte er sich auf die Suche, bis er diese Hütte fand – auf Skiern ungefähr drei Kilometer von der Hauptstraße entfernt. Aber der größte Teil des Geländes war freies Feld, so daß ich leicht gesehen und verfolgt werden konnte, es sei denn, ich würde ganz früh vor Tagesanbruch kommen.
    An der einsamen Hütte, in der Sam die Nacht verbracht hatte, schnallten wir unsere Ski ab, klopften den Schnee von der Bindung und stellten Ski und Stöcke hinter der Hütte ab. Drinnen fachte Sam die Glut an, die von seinem Feuer vom gestrigen Abend noch übrig war, und legte einige Scheite darauf. Es gab keine andere Heizung und auch keine Wasserleitung – nur die Pumpe vor der Tür. Sam füllte einen Blechnapf mit Wasser und stellte ihn aufs Feuer. Dann zog er sich einen Hocker neben den durchgesessenen Polstersessel, in dem ich bereits

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