New York für Anfaengerinnen
mehr als recht gewesen, wenn sich ein tiefes, tiefes Loch vor ihr im Boden aufgetan hätte – siebenundvierzig Stockwerke tief bis auf die 52nd Street und am besten weiter bis nach China oder wo immer man von New York aus auf der anderen Seite des Planeten eben herauskam. Das vermeintliche Badezimmer war der göttlichste begehbare Schrank diesseits des Atlantiks, fand Zoe zumindest, die noch nie zuvor einen begangen hatte. Er war halb so groß wie das gesamte Schlafzimmer. Ausgestattet mit diversen offenen Schuhabteilen, eingebauten Kleiderstangen für kurze und lange Sachen, ausziehbaren Fächern für Pullis und T-Shirts, sogar eine Hutablage gab es. Ein Ganzkörperspiegel mit zwei beweglichen Außenflügeln fehlte natürlich auch nicht. Und das dezente Licht der Deckenbeleuchtung machte nicht nur schlank, sondern irgendwie auch noch schön.
Zoe ließ sich auf das Kingsize-Bett in die mauvefarbenen Kissen sinken und sah zum Schlafzimmerfenster hinaus, das den Namen nicht wirklich verdiente, weil es die gesamte Westseite des Raumes vom Boden bis zur Decke einnahm. Der Blick reichte bis zum Hudson River, der in der Nachmittagssonne glitzerte. Amerikanische Oberflächlichkeit hin oder her. Sie liebte das Land der begehbaren Schränke schon jetzt!
*
Am Sonntagmorgen wachte Zoe wider Erwarten völlig erschlagen in einem vollkommen zerwühlten Bett auf. Zwei Kissen und die in ein Laken eingeschlagene Decke waren zu einer unordentlichen Wurst ans Fußende hinuntergestrampelt. Die anderen Kissen lagen verstreut neben dem Bett auf dem Boden. Ein Schlachtfeld, das man auf zweierlei Weise interpretieren konnte: Entweder hatte hier jemand spektakulär guten Sex oder extrem schlechten Schlaf gehabt. Für Zoe traf Letzteres zu. Sie hatte nachts mehrere Programmierungskämpfe mit der Klimaanlage ausgefochten – und verloren.
Zuerst hatte sie das Ding auf dem Cockpit von fünfundsechzig Grad Fahrenheit einfach auf Verdacht bis siebzig Grad hochgedreht. Wer konnte im Kopf schon Fahrenheit nach Celsius umrechnen? Irgendetwas mit minus zweiunddreißig geteilt durch eins-komma-hab-ich-leider-vergessen. Und das auch noch nachts um zwei. Eine beknacktere mathematische Formel konnte es kaum geben. Siebzig Grad waren immer noch zu kalt, deshalb stand sie ein zweites Mal auf und programmierte fünfundsiebzig ein. Als sie trotzdem noch fror, versuchte sie den fan abzustellen, der ihr stetig ins Gesicht blies, was aber nicht funktionierte, weil die niedrigste Stufe slow immer noch eine deutlich spürbare, unangenehme Windgeschwindigkeit erzeugte. Sie stand also ein viertes Mal auf, schaltete die Klimaanlage komplett aus und versuchte ein Fenster zu öffnen, was ihr natürlich nicht gelang, weil sich die meisten amerikanischen Hochhausfenster nicht öffnen ließen.
Nach und nach zog sie missmutig erst ihr langärmeliges T-Shirt, dann den Schal, die Socken und schließlich die Schlafanzughose wieder aus, schob die Bettdecke so weit wie möglich von sich – und schwitzte sich in einen unruhigen Dämmerschlaf. Als es draußen hell wurde, war Zoe gleichzeitig todmüde und hellwach. Irgendeine irrsinnige Körperreaktion auf die Kombination Schlafmangel und Zeitverschiebung. Sie griff zur Fernbedienung und schaltete ihr persönliches Großkino ein. Nachrichten. Der Reporter vom Lokalkanal New York 1 versuchte allen Ernstes gerade, ein Spiegelei auf dem Bürgersteig der 5th Avenue zu braten. Was ihm sogar einigermaßen gelang. Das Eiweiß gelierte, wenn auch langsam, und formte schließlich kleine Blubberblasen.
»Die Hitzewelle wird auch heute die Stadt wieder fest im Griff haben, bis es am frühen Nachmittag bei heftigen Gewittern stark abkühlt«, reportierte der adrette junge Bürgersteigkoch, der dem Eifer und der Sendezeit nach ein Praktikant im Hause New York 1 sein musste, dramatisch. »Es ist sieben Uhr früh am Sonntagmorgen vor dem Rockefeller Center, und wir messen bereits einundneunzig Grad. Für heute erwarten wir Höchsttemperaturen von hundertsechs Grad.«
Dann erzählte er irgendetwas von öffentlichen, klimatisierten Aufenthaltsräumen für Leute, denen es zu Hause zu heiß war. Für Leute wie mich, murmelte Zoe, schaltete den Fernseher aus, drehte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im verschwitzten Bettlaken. Ihr Magen fing langsam an zu knurren. Erst leise, dann drängend lauter. Diese verdammten Eier aus den Nachrichten gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Spiegeleier, Rühreier, Eier im Glas. Sie wollte
Weitere Kostenlose Bücher