New York für Anfaengerinnen
entführt. Auch eine Nazi-Vergangenheit konnte sie nicht bieten. Sie würde fortan 180.000 Dollar Jahresgehalt bei Schönhoff Publishing USA Inc. verdienen und in ihrer neuen New Yorker Steuerklasse ungefähr achtunddreißig Prozent davon gleich wieder hergeben. Ihr Vater war am 5.12.1955 in Nürnberg geboren, von Beruf Arzt, wohnhaft in der Hauptstraße 7, 90599 Herpersdorf bei Ansbach. Und so war es endlos weitergegangen.
Fehlt nur noch, dass sie mich nach meiner letzten Periode fragen, hatte sich Zoe geärgert.
»Linker Daumen, dann die restliche linke Hand«, ordnete der Beamte jetzt an.
Aber mit der Online-Ausfüllerei war es noch längst nicht getan gewesen. Danach musste Zoe zum Interview in einem US-Konsulat antreten. Sie hatte sich für die Frankfurter Stelle entschieden, weil sie gehofft hatte, dass dort weniger los sein würde als in der Berliner Botschaft, und gleich den ersten Termin um 8.40 Uhr in der Früh reserviert. Mit dem Ergebnis, dass sie an einem Julimorgen bei Nieselregen und dreizehn Grad Celsius mit etwa vierzig anderen Leuten vor dem Konsulat in einer Schlange gestanden hatte. Dreißig nasse Minuten und eine Sicherheitskontrolle (Keine Handys! Keine Schlüssel! Keine Schirme!) später hatte sie eine Nummer gezogen und mit ebendiesen vierzig Leuten, die ganz offenbar ebenfalls Zoes Termin um 8.40 Uhr mit dem einzigen anwesenden Konsularbeamten hatten, in einem Warteraum gesessen. Das Interview gute eineinhalb Stunden später hatte schließlich darin bestanden, dass sie die Unterlagen (die sie vorher schon online eingereicht hatte) unter einer schusssicheren Glasabtrennung hindurchschob. Zoe war zwar nie in der DDR gewesen, aber irgendwie so – stellte sie sich vor – musste deren Bürokratie damals auch funktioniert haben. Und man sah ja, wo das hingeführt hatte …
»Und was genau ist Ihre Betätigung?«, fragte der Einwanderungsbeamte nun.
»Ich bin der neue Senior Vice President Creative Digital Solutions bei Schönhoff Publishing.«
»Was soll das denn sein?«, wollte er wissen, guckte zum ersten Mal von seiner Computertastatur auf und studierte Zoe eindringlich, als hätte er gerade eine bisher unbekannte Tierart im afrikanischen Busch entdeckt.
»Ich soll die neuen Medien nahtlos in die alten integrieren. Blogging, Social Networking, Curating.«
»Und so was nennt sich heutzutage Journalismus?«, unterbrach sie der Beamte und kräuselte die Stirn.
»Allerdings!«, antwortete Zoe.
»Sie müssen es ja wissen«, sagte er kopfschüttelnd, stempelte Zoes Reisepass und winkte sie durch. » Welcome to the United States, Miss! «
Ja, du bist bei mir auch stets willkommen, Mister, dachte sie, lächelte aber vorsichtshalber höflich. Mit Leuten in Uniform war ja generell nicht zu spaßen. Dann lief sie so schnell wie möglich, aber gerade noch ohne zu rennen, zur Gepäckausgabe. Bevor Mister-Welcome-to-the-United-States es sich womöglich noch anders überlegte. Sie hievte ihre beiden Koffer vom Band, denen vom stundenlangen Im-Kreis-Herumfahren schon schwindelig sein musste, passierte den Zoll und ging durch eine weitere Sicherheitsschleuse in die Ankunftshalle.
Stay hungry, stay foolish , hatte der große Steve Jobs vor seinem Tod einmal so schön formuliert. Lebe jeden Tag wie deinen letzten. Und genau das plante Zoe Schuhmacher künftig zu tun. Auch wenn sich ihre persönliche Verwegenheit bisher eher in Grenzen gehalten hatte.
Draußen in der Ankunftshalle wartete bereits ein kleiner, schwarz beanzugter Inder mit einem Schildchen Ms. Zoe Shoemaker in der Hand und einer Art Dienstbotenkappe auf dem Kopf. Ihr Fahrer. Er nahm ihr, ohne mit den beneidenswert langen, dichten Wimpern zu zucken, beide Koffer ab, für die sie, wenn sie in Berlin am Flughafen nicht – wichtig, wichtig – die Senatorenkarte gezückt hätte, kräftig Übergepäck hätte zahlen müssen. Dann führte er sie nach draußen zu einer schwarzen Mercedes-Limousine. Die Limo hatte ihr noch die halbe Sekretärin zu Hause in Berlin gebucht, weil Allegra sich bei ihren regelmäßigen New-York-Besuchen standhaft weigerte, ein gelbes Taxi zu besteigen.
»Bei Regen kriegt man nasse Füße, weil die Karosserie undicht ist. Und wenn es heiß ist, bleiben die Oberschenkel an den Plastiksitzen kleben«, hatte sie sich nach ihrer ersten (und letzten) Fahrt beschwert.
Der New Yorker Himmel strahlte in verheißungsvollem Evianflaschenblau, als Zoe und ihr kleiner Inder Terminal 1 verließen. Es musste mindestens
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