Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
grausamste Weise zu Tode gekommen sind, was einiges von dem generellen Aberglauben hier erklärt, denn eine so schreckliche Geschichte wird sich immer auf die Phantasie unwissender Menschen auswirken. Es geht sogar das Gerücht, Euer Vorgänger sei durch einen Geist von hier vertrieben worden, aber das läuft meiner Vernunft zuwider und ich glaube eher, dass er mit einigen dieser Münzfälscher im Bund war und geflüchtet ist, weil er Angst hatte, gefasst und gehängt zu werden. Denn sein Verschwinden fiel beinahe mit meinem Amtsantritt zusammen, was mich umso argwöhnischer macht.»
    Die Information, dass ich einen Vorgänger gehabt hatte, der verschwunden war, beunruhigte mich denn doch ein wenig. Ich wollte mehr darüber wissen, da mir jetzt erstmals der Gedanke kam, dass meine neue Stellung gefährlicher sein könnte, als ich bisher gedacht hatte.
    «Aber wie war denn sein Name?», fragte ich. «Wurden denn keine Nachforschungen angestellt? Es betrübt mich zu sehen, wie wenig gefestigt der Ruf meines Vorgängers war und wie
    -26-

    seine Ehrlichkeit in Zweifel gezogen wird. Ich hoffe, wenn ich verschwinden würde, würdet Ihr besser über mich sprechen.»
    «Eure Besorgnis spricht für Euch», räumte Newton ein. «Sein Name war George Macey. Und ich glaube schon, dass Nachforschungen angestellt wurden.»
    «Aber verzeiht, Sir, könnte es nicht sein, dass Mister Macey eher als Opfer zu beklagen denn als Übeltäter zu verurteilen wäre? Ihr sagtet doch selbst, es sind skrupellose Männer, mit denen Ihr zu tun habt. Könnte es nicht sein, dass er ermordet wurde?»
    «Könnte sein? Könnte, Sir? Das war vor sechs Monaten, als ich mich noch an diesem seltsamen Ort zurechtzufinden suchte. Und nach einer solchen Zeitspanne kann ich keine Hypothesen aufstellen. Die beste und sicherste Art der Forschung scheint mir nämlich zu sein, dass man zunächst gewissenhaft die Fakten ermittelt und später dann mit einiger Vorsicht zu Hypothesen übergeht, die sie erklären können. Was geschehen oder nicht geschehen sein könnte, kümmert mich wenig. Bei der Untersuchung von Mysterien und schwierigen Dingen sollte die Analyse der Interpretation stets vorangehen.
    Das ist meine Methode, Mister Ellis. Sie zu kennen heißt, mein Wesen zu begreifen, Sir. Doch Eure Fragen ehren Euch. Ich will auch weiterhin Eure Ehrlichkeit würdigen, Sir, denn ich lege es nicht darauf an, Euch zu meiner Kreatur zu machen. Doch sprecht immer nur präzise zur Sache. Und macht meine wissenschaftliche Methode zu Eurem allerersten Studiengegenstand, denn sie wird euch zustatten kommen und dann werden wir beide uns prächtig verstehen.»
    «Ich werde Euch und Eure Methode gewissenhaft studieren, Sir», sagte ich.
    «Nun denn, was haltet Ihr von Haus und Garten?»
    «Beides gefällt mir sehr gut, Doktor Newton. Ich glaube, am Kartentisch habe ich nie so viel Glück gehabt wie mit dieser
    -27-

    Stellung.»
    Das stimmte. Ich hatte noch nie allein gewohnt. An der Rechtsschule hatte ich mein Quartier mit einem anderen Mann geteilt und davor war ich in Oxford gewesen, wo ich im College gewohnt hatte. Und es war ein großes Vergnügen, die Tür hinter mir zuzumachen und ein ganzes Haus für mich allein zu haben.
    Denn ich war mein Leben lang gezwungen gewesen, ein nicht von Geschwistern, Kommilitonen oder Rechtsschülern okkupiertes Plätzchen zu finden, um lesen oder träumen zu können. Doch die erste Nacht in meinem neuen Haus im Tower wäre beinahe meine letzte gewesen.
    Ich war frühzeitig zu Bett gegangen, mit einer Reihe von Abhandlungen über die Verbesserung des englischen Münzwesens, verfasst von den führenden Köpfen der Zeit, darunter Doktor Newton, Sir Christopher Wren, Doktor Wallis und Mister John Locke. Diese Arbeiten waren 1695 vom Regentschaftsrat in Auftrag gegeben worden und Newton meinte, sie würden mir eine gute Einführung in die verschiedenen Probleme rings um die Münzerneuerung sein.
    Aber sie reizten mich nicht, wach zu bleiben; diese Abendlektüre war das Langweiligste, was mir je untergekommen war seit ich meine rechtswissenschaftlichen Studien aufgegeben hatte und nach ein, zwei Stunden stellte ich die Kerze in den Kamin und zog mir das Federbett über den Kopf, ohne mich groß um die abergläubischen Phantasien zu kümmern, die mich am früheren Abend beschlichen hatten.
    Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen hatte. Vielleicht nur eine halbe Stunde, vielleicht auch viel länger, aber ich schreckte empor, als sei ich aus dem

Weitere Kostenlose Bücher