Newtons Schatten
bekannt war. White war aufgrund der Aussage eines ehemaligen Stempelschneiders namens Scotch Robin verurteilt worden und ein äußerst larmoyanter Mensch, eine rechte Heulsuse und obwohl mein Herr an seiner Aufrichtigkeit zweifelte, schaffte es White doch, bei jedem von Newtons eindringlichen Verhören mindestens einen seiner Kumpane zu verraten.
Es wunderte mich nicht wenig, dass ein Mann, der sich ein Vierteljahrhundert im stillen Kämmerlein in Cambridge aufgehalten hatte, ein solches Verhörgeschick bewies. Newton
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trat einmal streng und erbarmungslos auf und verhieß White, dass er noch vor Ablauf der Woche hängen werde, wenn er irgendwelche anderen Verbrecher decke und dann wieder gaukelte er White eine solche Freundlichkeit und Heiterkeit vor, dass man hätte glauben können, sie seien Vettern. Dank dieser Advokatentricks, die Newton instinktiv zu beherrschen schien, nannte White fünf weitere Namen, was ihm einen neuerlichen Aufschub verschaffte.
Die meisten dieser Schurken erleichterten tatsächlich ihr Gewissen, indem sie ihre Taten gestanden und ihre Komplizen nannten, aber einige wenige hielten am Lügen fest und waren so listig, ausgiebig zu heulen und stammelnd und schluchzend zu beteuern, dass sie gar nichts wüssten. Newton war nicht leicht hereinzulegen und mit denen, die es versuchten, verfuhr er so gnadenlos, als ob sich jemand, der seinen Kopf mit falschen Informationen füllte, eines noch abscheulicheren Verbrechens schuldig machte als ein Münzfälscher. Im Fall des Peter Cooke, der ihn wiederholt auf höchst ärgerliche Weise zu täuschen versucht hatte, bewies der Doktor, dass er so rachsüchtig sein konnte wie alle Furien zugleich.
Zum einen besichtigten wir den elenden Kerl in seinem Kerker in Newgate, wie es etliche hundert Menschen taten, denn in England ist es Brauch, die zum Tode Verurteilten zu begaffen, so wie ein Besucher des Tower die Löwen im Vorwerksturm begaffen mag. Zum anderen besuchten wir die letzte Predigt für den törichten Halunken und Newton fixierte den allein in seinem abgetrennten Betstuhl vor seinem offenen Sarg sitzenden Cooke mit unbarmherzigem Blick. Und da sein Rachedurst noch immer nicht gestillt war, so sah ich es, bestand mein Herr darauf, zum Tyburn zu gehen und Cookes schreckliches Ende mit eigenen Augen zu verfolgen.
Ich erinnere mich gut daran, denn es war das erste Mal, dass ich mit ansah, wie ein Mann gehängt und gevierteilt wurde, was eine bestialische Angelegenheit ist. Doch es war auch deshalb
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außergewöhnlich, weil Newton kaum je der Hinrichtung derer, die er vor Gericht gebracht hatte, beiwohnte.
«Ich halte es nur für recht und billig», rechtfertigte er sich, «dass wir als Hüter des Gesetzes uns gelegentlich die Pflicht auferlegen, das Los, dem unsere Ermittlungen einige dieser Missetäter zugeführt haben, persönlich zu verfolgen. Damit wir mit gebührendem Ernst zu Werk gehen und keine leichtfertigen Anschuldigungen erheben. Würdet Ihr dem nicht zustimmen, Sir?»
«Doch, Sir, wenn Ihr meint», sagte ich matt, denn ich hatte wenig Lust auf das Spektakel.
Cooke, ein stämmiger Bursche, wurde in seinem Armesünderhemd auf einem Henkersschlitten zum Richtplatz geschleift, den Strick um die Mitte gewunden und die Schlinge in der Hand. In meinen Augen hielt er sich ganz gut, obwohl der Henker mit ihm auf dem Schlitten ritt, in der Hand bereits das Beil, mit dem Cooke, wie dieser sehr wohl wusste, in Bälde die Gliedmaßen abgetrennt würden. Ich zitterte bereits, wenn ich dieses Folterinstrument nur sah.
Wir waren fast eine Stunde auf dem Tyburn, denn Cooke versuchte Zeit zu schinden, indem er ein langes Gebet nach dem anderen sprach, bis er schließlich, vor Angst halb ohnmächtig, vom Henker die Leiter hinaufgeschleppt wurde. Der Henker befestigte den Strick am Galgenbaum und stieß Cooke hinab, worauf der Pöbel so erregt aufbrüllte und zum Galgengerüst drängte, dass ich dachte, ich würde erdrückt.
Der Henker hatte hübsch kalkuliert, denn Cookes Zehenspitzen berührten das Galgenpodest, sodass er noch recht lebendig war, als ihn der Henker herunterschnitt und, das Messer in der Hand, über ihn herfiel wie einer von Cäsars blutrünstigen Mördern.
Die Menge, jetzt schon viel stiller, stöhnte auf wie ein Mann, als der Henker Cooke wie einer alten Geiß den Bauch aufschlitzte, mit der Hand hineinfuhr und eine Hand voll dampfender
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Innereien hervorzog, denn es war ein kalter Tag. Dieses Gedärm verbrannte
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