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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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um Nachsicht», sagte Rohan.
    Ich seufzte, verwirrt ob dieser Wende des Geschehens: dass man mich in meinem eigenen Bett überfiel, beinahe erwürgte und dann bat, das Ganze zu vergessen, als sei es nur ein dummer Schuljungenstreich gewesen und kein Fall von versuchtem Mord. Es schien der viel gepriesenen Sicherheit des Tower hohnzusprechen, dass hier ein Irrer herumspazieren durfte, von niemand anderem bewacht als ein paar elenden Raben.
    «Dann will ich Euer Wort, dass er hinter Schloss und Riegel gehalten wird, zumindest bei Nacht», sagte ich. «Der Nächste könnte weniger Glück haben als ich.»
    «Mein Wort sollt Ihr haben», sagte Rohan. «Nur zu gern.»
    Ich fügte mich mit einem widerwilligen Nicken, da mir kaum eine andere Wahl zu bleiben schien. Nach dem, was mir Newton erzählt hatte, war das Verhältnis zwischen Münze und Ordnance schon schlecht genug, auch ohne dass ich noch mehr Ressentiments provozierte. «Was hat ihn denn um den Verstand gebracht?», fragte ich.
    «Die Schreie», sagte Mr. Twistleton. «Ich höre sie, versteht Ihr?
    Die Schreie derer, die an diesem Ort gestorben sind. Sie verstummen nie.»
    Sergeant Rohan klopfte mir auf die Schulter. «Ihr seid ein
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    anständiger Bursche, Mister Ellis», sagte er. «Für einen Münzer allemal. Er wird Euch nicht mehr behelligen, das verspreche ich Euch.»
    In den folgenden Tagen und Wochen sah ich Mister Twistleton gelegentlich irgendwo im Tower, stets in Begleitung eines Mitglieds der Ordnance und tatsächlich schien er verständig genug, um nicht in ein Irrenhaus gesperrt werden zu müssen, sodass ich mich schon beglückwünschte, in dieser Sache so barmherzig geurteilt zu haben und erst Monate später sollte ich mich fragen, ob ich nicht einen schrecklichen Fehler gemacht hatte.
    Jetzt, da das Gemeinwesen in so traurigem Zustand und das Land kaum noch regierbar war, arbeitete die Münze zwanzig Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und Newton ebenso, denn obgleich er mit der Organisation und dem Vorantreiben der Münzerneuerung nichts zu tun hatte, schlief er nur wenig und die seltenen Momente, in denen er nicht damit beschäftigt war, Münzfälscher und Münzminderer zu jagen, brachte er damit zu, irgendein mathematisches Problem zu lösen, das ihm einer seiner vielen boshaften Korrespondenzpartner geschickt hatte, denn deren größtes Verlangen war es, ihn aufs Glatteis zu führen. Doch wir hatten immer reichlich zu tun und bald schon gingen wir im Fleet- und im Newgate-Gefängnis ein und aus, um belastende Aussagen diverser Schurken und Halunken, die guten Teils die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen hatten, zu Protokoll zu nehmen.
    Ich erwähne hier nur einen dieser Fälle, nicht weil er von unmittelbarer Bedeutung für die schreckliche und mysteriöse Geschichte wäre, die meinen Herrn fast ein Jahr lang vor Rätsel stellte, sondern um zu demonstrieren, wie viele andere Amtsaufgaben gleichzeitig seinen virtuosen Verstand beschäftigten.
    Da der König in Flandern war, wo er, ohne sonderlichen Erfolg, gegen die Franzosen kämpfte, regierten die Lordrichter das
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    Land. Sie hatten einen Brief von einem gewissen William Chaloner erhalten, einem überaus cleveren und meisterlichen Münzfälscher, der behauptete, im Tower sei Geld geprägt worden, welches weniger als die vorgeschriebene Silbermenge enthalte und zudem seien dort falsche Guineen hergestellt und Rohlinge sowie Guineenstempel aus der Münze gestohlen worden. Die Lordrichter befahlen meinem Herrn, diesen Behauptungen nachzugehen, was er wohl tun musste, obgleich er nur zu gut wusste, dass Chaloner, wenn es ums Reden ging, Merkur in Person war und dass er den Lordrichtern leeres Geschwätz angedient hatte. Unterdes suchte Peter Cooke, ein unlängst zum Tode verurteilter Falschmünzer, dem Henker zu entgehen, indem er uns ebenjenen Chaloner und andere als Komplizen nannte.
    Wie diese Halunken sich gegenseitig denunzierten! Kaum dass Cooke geredet hatte, beschuldigte Thomas White, ein weiterer Falschmünzer, dem das Todesurteil an die Nerven ging, einen Münzwerker namens John Hunter, Chaloner offizielle Prägestöcke für Guineen geliefert zu haben. Der Falschmünzerei bezichtigte er ferner Robert Charnock, einen Jakobiter, der kürzlich wegen Beteiligung an Sir John Fenwicks verräterischem Komplott gegen König William hingerichtet worden war, James Pritchard von Colonel Windsors Reitergarderegiment sowie einen gewissen Jones, über den so gut wie nichts

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