Newtons Schatten
das dort ist der Architekt ihres Hasses, Lord Lucas persönlich. Er ist der Lord Lieutenant des Tower, ein Posten, der viele alte und sonderbare Privilegien mit sich bringt und von meinem Amt abgesehen, könnte er sich als den mächtigsten Mann innerhalb dieser Mauern bezeichnen. Traut ihm noch weniger als allen anderen. Er ist ein trunksüchtiger Borachio und so hochmütig, dass ich vermute, er wischt sich den Arsch mit vergoldetem Papier.»
Ein Stückchen weiter, um die Ecke des Diverin Tower, passierten wir die Schmiede, wo ein Kerl, so grimmig und bulldoggenartig, wie ich je einen sah, für einen Moment das Beschlagen eines Pferdes unterbrach, um den unversöhnlichsten aller Blicke auf Newton und damit auch auf mich zu richten.
«Bei meiner Seel'», sagte ich, als wir vorüber waren. «Dieser Mann ist wahrhaftig eine höchst unangenehme Erscheinung.»
«Er ist ein unverbesserlicher Halunke und auch nicht gerade ein Freund der Münze. Doch schiebt ihn vorerst beiseite, denn das hier ist das Haus des Königlichen Kanzlisten, daneben steht das Münzmeisterhaus und daneben wiederum das Haus des Stellvertretenden Münzwarts, Monsieur Fauquier.»
«Fauquier? Das klingt französisch.»
«Er ist einer jener Hugenotten», erklärte Newton, «die erst jüngst vom französischen König Louis aus ihrem Land vertrieben wurden. Ich glaube, es gibt einige solcher Flüchtlinge hier im Tower. Die Französische Kirche, die ihr Glaubenszentrum ist, liegt nur eine kurze Gehstrecke vom Tower, in der Threadneedle Street. Fauquier ist ein Mann von beträchtlicher Substanz und, wie ich glaube, auch ein
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gewissenhafter Beamter. Doch rechnet nicht damit, ihn in diesem Haus anzutreffen - so wenig wie einen der erwähnten Nachbarn. Es gehört zu den Vergünstigungen der Münzämter, dass die Beamten ihren Dienstwohnsitz nach eigenem Gutdünken und zu ihrem persönlichen Gewinn vermieten dürfen.»
Da erst wurde mir klar, dass Newton, indem er mir seinen Dienstwohnsitz überließ, auf gute Mieteinkünfte verzichtete.
Newton blieb stehen und zeigte auf ein schmuckes, zweistöckiges Haus am Fuß jenes Teils der äußeren Befestigungsmauer, der den Namen Brass Mount trägt, wegen der Kanone, die dort steht und, wie ich bald herausfinden sollte, oft aus Anlass königlicher Geburtstage oder wichtiger Staatsbesuche abgefeuert wird.
«Das ist das Münzwarthaus», sagte Newton, «wo Ihr wohnen werdet.» Er öffnete die Tür und winkte mich hinein und als ich mich umschaute und die Möbel und Bücher sah, die Newton gehörten, da dachte ich, dass mir dieses Haus sehr gut gefallen würde. «Es ist ganz behaglich, wenn auch, wie Ihr seht, ein wenig feucht, was so nah am Fluss wohl kaum vermeidbar ist und ungemein staubig. Die Erschütterung durch die Kanone lässt den Mörtelstaub herabrieseln, deshalb kann man nicht viel dagegen tun. Ihr seid herzlich eingeladen, diese Möbel zu benutzen. Die meisten habe ich aus dem Trinity College herbringen lassen. Es sind alles keine guten Stücke und ich hänge nicht daran, aber ich möchte, dass Ihr auf meine Bücher Acht gebt. In meinem neuen Haus ist kaum Platz für weitere Bücher, aber von diesen hier möchte ich mich dennoch nicht trennen. Da Ihr so auf Weiterbildung bedacht seid, Mister Ellis, werdet Ihr sie zweifellos lesen wollen. Das eine oder andere werdet Ihr vielleic ht sogar nach Eurem Geschmack finden. Und ich freue mich darauf, eine fremde Meinung darüber zu hören, was manchmal so gut ist, wie ein Buch selbst noch einmal zu lesen.»
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Wir gingen wieder hinaus und Newton zeigte mir einen kleinen, mauerumfriedeten, nicht sehr gepflegten Garten, der sich im Bogen um den Fuß des Jewel Tower zog und mir, da es der Münzwartgarten war, ebenfalls zur Verfügung stand.
«Ihr könntet hier etwas Gemüse ziehen», schlug Newton vor.
«Wenn Ihr's tut, gebt mir unbedingt etwas davon ab. Ansonsten ist es im Sommer ein überaus hübsches Plätzchen zum Sitzen, so man sich nicht vor Geistern fürchtet, aber wenn Ihr für mich arbeitet, werdet Ihr ohnehin keine Zeit für solche Hirngespinste haben. Ich persönlich bin sehr skeptisch, was Geistererscheinungen im Allgemeinen betrifft, aber es gibt viele Männer innerhalb dieser Festungsmauern, die Stein und Bein schwören, dass sie diese oder jene Erscheinung gesehen haben.
Ich erachte das in den allermeisten Fällen für Unsinn. Aber es ist kein großes Geheimnis, dass in nahezu jedem Teil dieser Festung eine Menge Menschen auf
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