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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Pamphlete zur Kutsche zurückkehrte, gab ich ihm eine Guinee, wofür der
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    elende Kerl ungemein dankbar war. Er drehte und wendete sie so ausführlich in seinen seltsam schwärzlichen Fingern, dass ich dachte, wie gut wir daran getan hatten, ihm eine echte zu geben und keine der falschen, welche wir beschlagnahmt hatten.
    «Aber ich möchte, dass Ihr Lord Lucas nichts von unserem Treffen erzählt», sagte ich. «Sonst glaubt er noch, ich handle in dieser Sache hinter seinem Rücken. Und er hat so eine Art, sich ständig verfolgt zu fühlen, dass ich die Mühsal scheue, es ihm erklären zu müssen. Ich kenne bei Gott keinen zweiten Menschen, welcher sich so beständig als Opfer irgendwelchen Unrechts sieht.»
    «Ich bin Seiner Lordschaft nicht oft begegnet», sagte Oates.
    «Aber nach dem, was Sergeant Rohan mir erzählt hat, steht er tatsächlich in diesem Ruf. Doch Eure Exzellenz können versichert sein, dass ich niemandem von unserem Gespräch erzählen werde. Und ich freue mich darauf, Eure Lordschaft wieder zu treffen, vielleicht wenn wir England zu einem besseren Land gemacht haben.»
    «Ihr meint, ohne Papisten.»
    Oates bekräftigte den grausigen Sinn seiner Worte mit einem Nicken.
    «Das walte Gott», sagte er.
    Newton schloss den Kutschschlag und wir fuhren davon, entsetzt über das, was wir gehört hatten und voller Furcht vor dem, wovon wir jetzt wussten.
    Newton sprach oft über die Geschichte von Balsazars gottlosem Festmahl und der kryptischen Schrift, welche Daniel entzifferte.
    Tatsächlich war ihm das Buch Daniel von allen biblischen Büchern eins der liebsten, da es voller numerischer Prophezeiungen war. Er fragte sich, warum die Weisen an Belsazars Hof nicht lesen konnten, was da stand: Mene mene tekel upharsin. «Gezählt, gewogen, geteilt.» Vielleicht fürchteten sie sich davor, dem König eine schlechte Botschaft zu
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    übermitteln, wohingegen Daniel nur Gott fürchtete. Newton erklärte mir einmal, auf Aramäisch bezeichneten diese Worte zugleich drei Münzen: die goldene Mine, den silbernen Sekel und den bronzenen Peres, welcher eine halbe Mine wert war und dieser Spruch sei der erste überlieferte Witz der Weltgeschichte, da er ein Wortspiel mit diesen drei Münzen darstelle und ich solle mir einmal vorstellen, wie Daniel dem Balsazar erklärte, sein Königreich sei keine drei Pence wert. Und warum war es keine drei Pence wert? Weil Belsazar so dumm war, auf die Götter des Goldes, des Silbers und der Bronze zu trinken, aus jenen me tallenen Trinkgefäßen, welche sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem geraubt hatte.
    Diese Anekdote sagt viel über Newton selbst: Sie bezeugt sein numismatisches Interesse, welches durch die Tätigkeit in der Münze stimuliert wurde, aber wichtiger noch ist die wörtliche Bedeutung der Botschaft «Gezählt, gewogen, geteilt», denn darin verdichten sich Newtons eigene Philosophie und seine Lebensleistung. Wenn ich's recht bedenke, könnte man Newtons ganzes Leben mit jener körperlosen Hand vergleichen, deren schriftliche Botschaft die Wahrsager und Sterndeuter des Königs allesamt so ratlos machte, denn Newton schenkte seinem Körper so wenig Beachtung, als existiere er gar nicht.
    Wie der Prophet Daniel hielt Newton generell wenig von Propheten und Weisen und mit besonderer Verachtung bedachte er Mister Defoes Pamphlet, welches viel Aufhebens um eine Prophezeiung des - wenngleich schon über hundert Jahre toten, so doch höchst berühmten - französischen Astrologen Nostradamus machte, dass es eine Verschwörung zur Ermordung König Williams geben werde.
    «Kein Mensch kann die Zukunft vorhersagen», sagte Newton, nachdem wir auf der Rückfahrt in die Münze das Pamphlet in der Kutsche laut gelesen hatten. «Nur der himmlische Gott vermag die Geheimnisse der Welt zu offenbaren, durch Menschen, welche seine auserwählten Werkzeuge sind. Er ist es,
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    der kundtut, was geschehen wird. Der Mensch jedoch vermag Gottes Welt nur durch wissenschaftliche Forschung und gewissenhafte Beobachtung zu verstehen, nicht aber durch Horoskope und andere törichte Zaubereien.
    Und doch ist das gemeine Volk in seiner tiefen Unwissenheit überaus leichtgläubig», sagte er. «Und nimmt solchen Unsinn bereitwillig für bare Münze. Es ist daher die Aufgabe der Wissenschaft, diese Dämonen aus der Welt zu exorzieren und Licht in die Gefilde des Aberglaubens zu bringen. Bis dahin wird der Mensch Opfer seiner eigenen Dummheit sein, ausgebeutet von

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