Newtons Schatten
Leger Scroope so bekannt vorgekommen war, beantwortete sich rasch, als wir dessen Geschäftslokal, ein Haus neben dem Bell, nahe dem Maypole, erreicht hatten. Auf unser Klopfen öffnete uns ein Bediensteter, den ich von seiner Kleidung her, er trug ein Käppchen auf dem Kopf für einen Juden hielt. Als er sich nach unserem Anliegen erkundigt hatte, nickte er erns t und ging
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seinen Herrn holen.
Scroope selbst war ein hoch gewachsener Mann, eine gute Handbreit größer als ich, mit einer schwarzen Perücke, einem auf spanische Art hochgezwirbelten Bart und feiner Kleidung, die nicht reicher an Gold und Silber hätte sein können. Ich hatte den Eindruck, dass er Newton auf den ersten Blick erkannte, obwohl er dem erst Ausdruck gab, als der Doktor den Zweck seines Besuchs erläutert hatte.
«Aber kennt Ihr mich denn nicht mehr, Doktor Newton?», fragte er mit einem seltsamen Lächeln und als er sah, wie sich Newtons Augen von der Gedächtnisanstrengung verengten, nahm das Gesicht des Goldschmieds einen enttäuschten Ausdruck an.
«Ich muss gestehen, Mister Scroope, da seid Ihr mir voraus, Sir», stammelte Newton.
«In diesem Fall beschert Ihr mir eine einzigartige Erfahrung, Sir, denn ich habe noch nie einen Mann gekannt, der Euch in irgendetwas voraus gewesen wäre.» Scroope verbeugte sich graziös. «Gestattet, dass ich Euch auf die Sprünge helfe, Sir. Ich war ein Mitstudent von Euch am Trinity College, Sir und Eurem Tutorium unterstellt, wenn ich auch die Universität nie abgeschlossen, ja nicht einmal die Aufnahme erlangt habe.»
«Ja», sagte Newton mit einem unsicheren Lächeln. «Jetzt erinnere ich mich an Euch. Aber damals hattet Ihr den Bart noch nicht. Und auch nicht den Reichtum, würde ich meinen.»
«Man verändert sich in fünfundzwanzig Jahren.»
«Sechsundzwanzig, wenn ich mich recht erinnere», sagte Newton. «Und ich erinnere mich auch, dass ich Euch ziemlich vernachlässigt habe, wenngleich Ihr da nicht der Einzige wart.»
«Die Wissenschaft wird es Euch danken, Sir. Ich war kein sonderlich fleißiger Student und die Entwicklung hat gezeigt, daß Eure Opticks und Euer Teleskop die fruchtbarere Tätigkeit für Euch waren. Von Euren chemischen Studien ganz zu
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schweigen.» Bei diesen letzten Worten lächelte Scroope wissend, als wäre die Beschäftigung meines Herrn mit der Alchemie doch kein solches Geheimnis gewesen.
«Ihr seid sehr liebenswürdig, Mr. Scroope.»
«Es ist leicht, liebenswürdig zu einem Mann zu sein, den ganz England verehrt.» Mr. Scroope verbeugte sich abermals und ich fand ihn einen höchst servilen Burschen, besser geeignet, einen König zu umschmeicheln, als Gold zu schmieden. «Doch ich trage selbst an einer Gewissenslast», sagte Scroope, dessen Artigkeiten mir jetzt langsam lästig wurden. «Ich habe damals dem College kein Tafelsilber hinterlassen, wie es von einem Studenten erwartet wurde. Um meine Beschämung zu mildern, Sir, wäre ich daher dankbar, wenn Ihr im Namen des College ein paar Kleinigkeiten von mir annehmen würdet.»
«Jetzt?», fragte Newton. Scroope nickte. «Es wäre mir eine Ehre.»
Scroope ließ uns einen Moment allein, um seine Gabe zu holen.
«Das kommt allerdings unerwartet», sagte Newton, der jetzt Scroopes Gehstock interessiert in den Händen drehte.
«Ist er einer der drei Studenten, die Ihr insgesamt hattet?», fragte ich eingedenk dessen, was er mir bei unserer ersten Begegnung erzählt hatte.
«Zu meiner Beschämung muss ich das bejahen.»
«Ach was! Ich glaube, Mister Scroopes Be schämung reicht allemal für zwei.»
«Ich war in Cambridge ein äußerst teilnahmsloser Geselle», gestand Newton ein. «Teilnahmslos und im höchsten Grade inhuman. Aber seit ich in London bin, bin ich ein besserer Mensch. Die Arbeit in der Münzanstalt hat meine n Horizont erweitert. Und trotzdem dürfte Mister Scroopes Horizont wohl um einiges weiter sein. Ich schätze, dieser Gentleman besucht oft Orte, wo man doppelt wachsam sein muss.»
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«Wie meint Ihr das, Sir?», fragte ich.
«Er trägt ein Rapier, wie die meisten Gentlemen. Und doch hat er sich zusätzlich die Mühe gemacht, eine Klinge in diesem Stock zu verstecken. Seht Ihr?»
Newton zeigte mir, dass im Inneren des Stocks auf höchst raffinierte Art eine Klinge von zwei bis drei Fuß Länge untergebracht war, wobei der Stockgriff zugleich als Griff eines kurzen, aber durchaus tauglich wirkenden Rapiers fungierte. Ich prüfte die Klinge mit dem Daumen.
«Er hält
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