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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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wohlhabender und erfolgreicher Mann und doch zugleich sehr diskret.»
    «Diskret? Ich weiß nicht, wie Ihr darauf kommt», sagte ich.
    «Mir schien er ein rechter Gockel.»
    «Als wir gingen, waren seine Samtschuhe völlig verdreckt», sagte Newton. «Aber als wir ankamen, waren sie auffallend sauber, mit gänzlich neuen Sohlen. Da die Straße vor seinem Haus gepflastert und absolut frei von Matsch ist, würde ich annehmen, dass er einen Hof nach hinten hinaus hat und dass sich dort etwas befand, das er dringend vor uns verbergen wollte. So dringend, dass er es in Kauf nahm, ein Paar neue Samtschuhe zu ruinieren.»
    «Er kann sie doch ohne weiteres beschmutzt haben, als er diese silbernen Trinkbecher holen ging», versuchte ich Newtons Folgerungen zu entkräften.
    «Es wird wahrhaftig Zeit, Ellis, dass Ihr Euren eigenen Augen und Ohren mehr Beachtung schenkt. Er sagte doch selbst, dass er die Becher aus seinem Keller geholt hat. So matschig sind nicht einmal die Keller im Tower.»
    «Aber ich sehe nicht, was das beweist.»
    «Es beweist gar nichts», sagte Newton. «Nur das, was ich schon sagte: dass Mister Scroope, bei aller Großzügigkeit und scheinbaren Offenheit uns gegenüber, doch jemand ist, der zwei Rapiere trägt und etwas zu verbergen hat.»
    «War das Hebräisch, was Ihr da eben spracht?», fragte ich.
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    «Es war Jiddisch», sagte Newton. «Eine der verbreitetsten Sprachen der Welt. Der Mann ist ein spanischer Marrane. Die Marranen waren Juden, welche es schafften, nach England einzureisen, indem sie sich für verfolgte spanische Protestanten ausgaben.»
    Worauf er mir mit sichtlicher Genugtuung erklärte, wie weit es die Juden in England gebracht hatten.
    «Bei Gott, Sir», sagte ich erzürnt, denn damals hielt ich die Juden für die Mörder Christi. «Ihr sprecht auf eine Art von ihnen, dass man meinen könnte, Ihr würdet diese Leute akzeptieren.»
    «Der Gott, den wir verehren und anbeten, ist ein hebräischer Gott», sagte Newton. «Und die Juden sind die Väter unserer Kirche. Aus der Beschäftigung mit dem jüdischen Glauben können wir viel lernen. Deshalb lasst Euch gesagt sein, dass ich die Juden nicht nur akzeptiere, sondern sie darüber hinaus bewundere und ehre.
    Als Ihr in meine Dienste tratet, Ellis, batet Ihr mich, Eurer Unwissenheit stets abzuhelfen und Euch etwas von der Welt, wie ich sie sehe, zu zeigen. Der Hass, den die Leute den Juden entgegenbringen, beruht auf einer Lüge. Denn ich bin der Meinung, dass ein Großteil der heutigen christlichen Lehre Lüge ist und dass die Heilige Schrift beim Konzil von Nikäa im vierten Jahrhundert von den Gegnern des Arius verfälscht wurde. Diese Leute haben die Irrlehre des Athanasius durchgesetzt, dass der Sohn dem Vater konsubstanzial ist, obgleich sich das in der Heiligen Schrift nirgends findet. Wenn man erst einmal mit diesem irrigen Konzept aufgeräumt hat, erkennt man, dass es keinen Grund gibt, die Juden zu schmähen.»
    «Aber, Sir», hauchte ich, da ich fürchtete, der Kutscher könnte mithören. «Was Ihr da sagt, richtet sich doch gegen die Heilige Trinität und die Göttlichkeit unseres Herrn Jesus Christus. Für
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    unsere Kirche ist das doch alles Ketzerei.»
    «Für mich ist die Anbetung Christi die Ketzerei. Jesus war lediglich der Schöpfungsmittler zwischen Gott und Mensch und ihn anzubeten ist reiner Götzendienst. Jesus wurde nicht durch seine angeborene Göttlichkeit Gottes Erbe, sondern durch seinen Tod, welcher ihm das Recht eintrug, geehrt zu werden. Genauso, wie wir Moses, Elia, Salomo, Daniel und all die anderen jüdischen Propheten ehren. Ehren, ja, aber mehr auch nicht.»
    Newton war theologisch überaus beschlagen und ich wusste, er hätte mit dem Erzbischof von Canterbury Dispute über Fragen der christlichen Lehre führen können. Und doch schockierte es mich zutiefst zu erfahren, was er glaubte, oder besser gesagt, was er nicht glaubte. Die Überzeugungen Galileis waren, obgleich für Rom Ketzerei, doch nichts im Vergleich zu denen meines Herrn, denn Newtons Arianismus war, genau wie der römische Katholizismus, aus der Toleranzakte von 1689, welche allen Glaubensrichtungen Religionsfreiheit garantierte, ausdrücklich ausgenommen. Selbst ein Jude genoss mehr Glaubensfreiheit als ein Arianer.
    Meine Irritation wurde allerdings dadurch gemildert, dass ich spürte, welches Vertrauen Newton da eben in mich gesetzt hatte.
    Denn mir war sofort klar, welche Freude es für Newtons Feinde wäre, wenn sein

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