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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ganz in der Nähe des Barbican, wo die Löwen unruhig grollten und ich stieg auf die Esplanade hinaus.
    Ehe Newton den Schlag hinter mir schloss, beugte er sich in die kalte, von den Exkrementen der Bestien mit einem starken Raubkatzengeruch geschwängerte Nacht hinaus, um noch ein letztes Wort an mich zu richten, ehe er mich entließ.
    «Wir treffen uns morgen früh um neun Uhr auf der Wasserseite des Turms der York Buildings, um Mister Scroope einen Besuch abzustatten. Und danach werden wir dann vielleicht diesen Berningham im Whit aufsuchen.»
    Dann klopfte Newton mit seinem Stock aufs Kutschdach und die kleine rote Kalesche ratterte in westlicher Richtung davon, die Thames Street entlang.
    Ich drehte mich um, ging auf den Wachsoldaten zu, der ein ganzes Stück von seinem Posten am Byward Tower entfernt stand und blieb stehen, um kurz mit ihm zu reden, da ich stets bestrebt war, das Verhältnis zwischen Münze und Ordnance zu verbessern. Wir unterhielten uns darüber, wie man sich im Wachdienst am besten warm halten könne und bei welchem Turm die Spukgefahr am größten sei, denn ich konnte nachts nie im Tower herumlaufen, ohne Angst zu haben, einen Geist oder eine Erscheinung zu sehen. So schmählich das auch ist, muss ich doch zu meiner Verteidigung sagen, dass dort so viele schreckliche Dinge geschehen waren. Wenn es überhaupt irgendwo spukte, dann doch wohl im Tower. Der Wachtposten glaubte, der Jewel Tower, auch Martin Tower genannt, sei ein Ort, um den sich viele Spukgeschichten rankten.
    Doch bald schon mischte sich Sergeant Rohan, welcher den Tower so gut kannte wie irgendeiner der Soldaten, in unser Gespräch.
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    «Jeder Festungsteil hat seine eigenen Spukgeschichten», meinte Sergeant Rohan, ein Mann von massiger Gestalt, beinahe so breit wie lang. «Doch kein Teil wird so geflissentlich gemieden wie der Salt Tower, von dem es heißt, dass dort häufig Geister umgehen. Wie Ihr wisst, sah Mister Twistleton, der Waffenmeister, dort einen Geist, was ihn um den Verstand brachte. Ich selbst habe dort Dinge gesehen und gehört, die ich nicht erklären kann. Ich kann nur sagen, dass sie mit Sicherheit verderblicher und übernatürlicher Art waren. Dort im Verlies wurden viele Jesuitenpriester gefoltert. Ihr könnt noch die lateinischen Inschriften sehen, welche einer von ihnen in die Wand geritzt hat.»
    «Was ist aus ihm geworden?», fragte ich.
    «Er wurde 1595 nach York gebracht», erklärte Rohan, «und dort bei lebendigem Leibe verbrannt.»
    «Armer Kerl», sagte ich.
    Rohan lachte. «Meint Ihr? Er war ein Katholik der fanatischsten Sorte. Er hätte zweifellos manch armem Protestanten dasselbe zugefügt.»
    «Mag sein», räumte ich ein. «Aber es ist doch ein armseliges philosophisches Argument, dass wir anderen Leid zufügen sollen, ehe sie es uns zufügen.»
    «Ich bezweifle, dass es viele Philosophen gibt, die wissen, welch unersättlichen Hang zur Grausamkeit die meisten Katholiken haben», insistierte der Sergeant. «Den Protestanten in Frankreich widerfuhr Entsetzliches, während der
    Dragonnades von 1681 und 1685, als König Ludwigs Soldaten in Hugenottenhäusern einquartiert waren und freie Hand hatten, nach Belieben zu wüten, um auf diese Weise Rom Konvertiten zu bescheren. Glaubt mir, junger Mann, es gibt keine denkbare Form der Grausamkeit, die diese brutalen Missionare nicht anwandten, damit die Leute in die Messe gingen und schworen, niemals vom römischen Glauben abzufallen. Alte Männer, die
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    ins Gefängnis geworfen, Frauen, die vergewaltigt und ausgepeitscht wurden, junge Männer, welche man auf die Galeeren schickte, alte Mütterchen, welche man bei lebendigem Leibe verbrannte.»
    «Ihr redet, als hättet Ihr diese Grausamkeiten selbst mit angesehen, Sergeant», bemerkte ich.
    «Ich kämpfe seit zwanzig Jahren gegen die Franzosen», sagte der Sergeant. «Ich weiß, wozu sie fähig sind.»
    Nachdem wir noch ein paar Minuten über dieses Thema debattiert hatten, wobei Rohan sich als überaus halsstarrig in seinem Jesuitenhass erwies, wünschte ich dem Sergeant und Mister Grain eine gute Nacht und verließ den Byward Tower mit einer geliehenen Laterne, die jedoch wenig dazu tat, meine durch das Gespräch noch angeheizte Angst vor der Begegnung mit einem Geist zu mildern.
    Während ich rasch zum Münzwarthaus marschierte, dachte ich viel an jene Jesuiten, die man gefoltert hatte, vielleicht mit eben jener Aasgeierstochter, der auch George Macey ausgesetzt worden war. Es war

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