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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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aus eigener Tasche zahlen müsste.»
    «Gilt das auch für die Tagschicht?», fragte ein anderer.
    «Auch für die Tagschicht», sagte Newton.
    Die Münzer sahen sich an, nickten und begaben sich dann allmählich wieder an ihre Maschinen, worauf Newton einen Seufzer der Erleichterung ausstieß.
    «Und bei alledem spielt der Münzmeister Karten», sagte ich.
    «Ich glaube nicht, dass der König weiß, welch treuen Diener er in Euch hat.»
    «Wir können nur hoffen, dass Ihre Lordschaften Eure Meinung teilen», sagte Newton lächelnd. «Sonst stünde ich bald recht blank da. Habt Ihr die Kopie der Schrift an der Mauer der Sally-Port-Treppe?»
    Ich reichte Newton das Blatt, welches er in seinen Ärmel steckte.
    «Ich werde den heutigen Abend darauf verwenden», sagte er,
    «dieses Rätsel zu lösen, denn ich kann es gar nicht leiden, von Dingen gefoppt zu werden, welche letztlich mathematischer Natur sind. Ich bin nämlich überzeugt, dass in jeder Geheimschrift die Häufigkeit der Vokale und Konsonanten numerischen Gesetzen folgt und Erstere häufiger sind als Letztere.»
    Es war ganz offensichtlich, dass ihn die vor ihm liegende Aufgabe ergötzte, so wie es den Propheten Daniel ergötzt haben mochte, Balsazar den Willen Gottes zu enthüllen, als jene Hand die Schrift an die getünchte Wand des Königspalastes malte. Ich für mein Teil war dagegen ungeheuer müde und freute mich, trotz des kopflosen Leichnams so nah bei meinem Haus und des Krachs der Münze, der jetzt wieder einsetzte, auf mein Bett.
    -173-

    Ich erwachte, wenn man es denn so nennen konnte, nachdem ich kaum geschlafen hatte, mit einem leichten Fieber. Doch ich beschloss, den Stoiker zu spielen und fand mich wie gewöhnlich in der Amtsstube ein, wo mir Newton erklärte, wir würden nach Bedlam fahren.
    «Um Euren Freund, Mister Twistleton, zu besuchen. Als ich mich heute Morgen nach ihm erkundigte, erfuhr ich, dass er heute Nacht auf Lord Lucas' Befehl dorthin gebracht wurde.
    Nachdem Mercers Leichnam entdeckt worden war. Ist das nicht eigentümlich?»
    «Hofft Ihr wirklich, den Mann befragen zu können?»
    «Warum nicht?»
    «Er ist wahnsinnig, Sir.»
    «Die Natur stattet auch ihre privilegiertesten Söhne nur selten mit konstanter und anhaltender geistiger Gesundheit aus. Und falls Mister Twistletons Wahnsinn von der Art ist, die einen Menschen aussprechen lässt, was immer ihm gerade in den Sinn kommt, dann werden wir vielleicht selbst in der Lage sein, seine Gedanken zu ordnen.»
    Wir fuhren mit der Kutsche nach Moorfields und zum Royal Bethlehem Hospital, einem überaus prächtigen Bau, welchen ebenjener Robert Hooke entworfen hatte, den Newton als seinen großen wissenschaftlichen Rivalen ansah, weshalb es mich nicht weiter erstaunte, meinen Herrn höchst abfällig über Gestalt und Anlage des Hospitals sprechen zu hören.
    «Nur ein Irrer baut ein Irrenhaus, das einem Palast gleicht», beschwerte er sich. «Ein solcher Schwindel kann nur von Hooke stammen.»
    Doch drinnen glich Bedlam eher der Hölle als einem Palast.
    Den Eingang, welchen wir passierten, flankierten zwei steinerne Statuen der Melancholie und des Wahnsinns, so als hätte eine schreckliche Gorgo einem irrsinnigen Brüderpaar in die Augen
    -174-

    gestarrt, was allemal ein besseres Schicksal war als jenes, das einen im Inneren erwartete, wo nichts war als Geschrei und hallendes Gelächter und ein so entsetzliches Bild menschlichen Elends, dass wohl nur Beelzebub selbst Gefallen daran gefunden hätte. Und doch kamen rohe Gemüter hierher, um Zerstreuung und Erheiterung aus den bemitleidenswerten Insassen Bedlams zu ziehen, welche zum Teil angekettet und in Zellen gesperrt waren wie die Tiere im Löwenturm. Für mein ungeschultes Auge, da ich nichts über die Betreuung Irrsinniger wusste, war die Atmosphäre die eines einzigen großen Hinrichtungsfestes auf dem Tyburn, denn sie war geprägt von Grausamkeit und Fühllosigkeit, Trunkenheit und Verzweiflung, ganz zu schweigen von den Huren, welche inmitten der Besucher ihrem Gewerbe nachgingen. Kurzum, dieses Bild war ein Faksimile der Welt überhaupt, voller Widersprüche, voller Horror und Lust zugleich und dazu angetan, einen jeden an der Existenz eines Gottes im Himmel zweifeln zu machen.
    Wir fanden Mister Twistleton hinter einem Eisengitter, wo er mit seinen Ketten rasselte und um Erbarmen winselte. Seine nackten Schultern trugen bereits die unverkennbaren Striemen der Peitsche eines Irrenwärters und was ihm noch an Verstand

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