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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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hinter dem Haus des Königlichen Kanzlisten erhob, gegenüber von meinem Haus und dem des Münzmeisters. Er beobachtete, wie ein Wachposten der Ordnance dort oben eine kalte Patrouille absolvierte.
    «Jemand, der um sechs Uhr dort oben stand, könnte einen Heuwagen an der Sally-Port-Treppe gesehen haben», sagte er.
    «Zu diesem Ze itpunkt waren wir gerade im White Tower, denn ich erinnere mich, auf die Uhr geschaut zu haben, ehe ich meine Beobachtungen aufnahm.»
    «Warum fragen wir ihn nicht?», fragte ich und zeigte auf den Wachposten.
    «Weil er nicht derjenige war, der um diese Zeit Wache ging», erwiderte Newton mit einer Sicherheit, die mich erstaunte.
    «Aber er weiß doch gewiss den Namen des Mannes, den er abgelöst hat», sagte ich, seine Aussage hinnehmend. «Sollten wir ihn nicht jetzt gleich fragen, ehe Lord Lucas informiert ist?»
    «Ihr habt Recht», sagte Newton. «Lord Lucas wird nur versuchen, die Ermittlungen zu behindern und die Arbeit der Münze zu hintertreiben. Er ist eine Fliege auf einem Kuhfladen, die sich für einen König hält.»
    Wir stiegen auf die äußere Befestigungsmauer, wo mir ein kalter Wind den Hut vom Kopf wehte, sodass ich ihm hinterher rennen musste, damit er nicht über die Brustwehr und in den Graben flog.
    «Ihr hier oben, Gentlemen?», sagte der Wachposten ein wenig erstaunt. «Ist eine hässliche Nacht für einen Besichtigungsrundgang. Besser, Ihr behaltet den Hut in der Hand, Sir, außer Ihr wollt ihn dem Mond zum Geschenk
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    machen.»
    «Wie heißt Ihr?», fragte mein Herr.
    «Mark, Sir», sagte der Mann zögernd und seine Augen huschten im Kreis herum, als sei er sich dessen nicht ganz sicher. «Mark Gilbert.»
    Von nahem war er ziemlich klein für einen Soldaten und ein wenig krummschultrig, wenngleich er vom Gesicht und seiner ganzen Art her recht wach wirkte.
    «Nun, Mister Gilbert, heute Abend wurde in der Münze ein auf grausamste Weise ermordeter Mann gefunden.»
    Gilbert sah über die Mauer, ehe er in die Münze hinunterspuckte.
    «Und es ist unerlässlich, dass ich jeden befrage, der heute Abend dort unten etwas gesehen haben könnte.»
    «Ich habe nichts Ungewöhnliches gesehen, Sir», sagte Gilbert.
    «Da war nichts, seit ich meine Wache angetreten habe.»
    «Und wann war das?»
    Ehe Gilbert antwortete, spuckte er wieder aus, sodass ich den Eindruck hatte, er spucke, um sein Gehirn in Gang zu setzen.
    «Um fünf Uhr, Sir», sagte er.
    «Aber seither seid Ihr nicht die ganze Zeit hier Patrouille gegangen», sagte Newton. «Waren nicht Sergeant Rohan und Major Mornay zwischendurch hier oben?»
    Gilbert runzelte verblüfft die Stirn. «Sergeant Rohan hat mich für eine halbe Stunde abgelöst, Sir, das ist wahr. Aber einen Offizier habe ich nicht gesehen.»
    «Und warum hat Euch Sergeant Rohan abgelöst? Es ist doch gewiss nicht üblich, dass ein Sergeant einen gemeinen Soldaten ablöst?»
    «Stimmt, Sir. Ich weiß nicht, warum er's getan hat. Aber ich war mächtig dankbar, weil es so kalt ist, Sir. Und ich dachte, das sei
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    vielleicht der Grund, Sir. Rohan ist ein anständiger Mensch, für einen Franzosen.»
    «Sergeant Rohan ist ein Hugenotte?»
    «Jawohl, Sir.»
    «Was Ihr nicht sagt.» Newton ging ein Stück die Mauer entlang und ließ Gilbert und mich allein zurück.
    «Wer ist denn ermordet worden?», fragte er mich.
    «Daniel Mercer», antwortete ich.
    «Nein», sagte er. «Danny Mercer? Der war kein schlechter Kerl, für einen Münzer. Ermordet, sagt Ihr?»
    «Möglicherweise», sagte ich, weil ich keinen Sinn darin sah, den Burschen in Alarm zu versetzen und weil ich in Wahrheit mehr damit beschäftigt war, meinen Herrn zu beobachten, als damit, Mark Gilbert zuzuhören. Newton war der Mauer ostwärts bis zum Brass Mount gefolgt und dann wieder umgekehrt, wobei er nur einmal kurz stehen geblieben war, um sich zu bücken und etwas aufzuheben.
    «Kommt», sagte er und zwängte sich an mir vorbei in Richtung Treppe. «Schnell. Wir haben es eilig. Besten Dank, Mister Gilbert.»
    Wir gingen zum Byward Tower, wo das Eingangstor zur Festung war und Newton befragte den Torwächter, der bestätigte, dass niemand beim Betreten des Tower kontrolliert wurde, es sei denn, er trüge einen Degen oder eine Pistole und dass man Kutschen und Fuhrwerke erst beim Hinausfahren durchsuchte, für den Fall, dass sie wie einst Captain Blood die Kronjuwelen zu stehlen versuchten. Woraus klar hervorging, dass es ein Leichtes gewesen wäre, einen kopflosen Leichnam

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