Newtons Schatten
bereits so gestreift waren wie ein Maibaum.
«Sie kümmert nicht, was mit ihr geschieht», sagte der Mann lachend. «Sie zahlt nur den Preis für die Befriedigung ihrer Gier.
An Eurer Stelle würde ich keinen Gedanken auf sie verschwenden.»
Und das Mädchen schwieg und ertrug die Hiebe, welche wieder einsetzten, sobald ich auf der Treppe war, ohne den leisesten Mucks.
Ich wusste nicht, ob ich dem Holländer glauben sollte, trat aber den Rückzug an, obwohl ein Teil von mir entschlossen war, mit gezückter Pistole wieder hinunterzugehen und dafür zu sorgen, dass dem Mädchen nichts mehr geschah. Ich hätte vielleicht den Kerl mit dem Beulengesicht erschießen können, aber die anderen Männer waren ebenfalls bewaffnet und ich bezweifelte nicht, dass sie mich töten würden. Und so trieb mich noch eine Weile der Gedanke um, dass sie vielleicht in der Tat eine fille dévotée war, welche man hier zum eigenen Ergötzen auf monströse Art peinigte und vielleicht sogar tötete, denn all diesen Männern stand die Mordlust ins Gesicht geschrieben und sie hatten ja offensichtlich einen solchen Hass auf alles Katholische, dass sie wohl kaum vor einem solchen Verbrechen zurückschrecken würden.
Äußerst froh, diesem teuflischen Haus entronnen zu sein und auch ein wenig beno mmen, weil der süßliche Qualm dort drinnen so dicht gewesen war wie der Nebel auf dem Fluss, sog ich die kalte Luft tief in die Lunge und nahm, da ich den Major längst gegangen wähnte, den Weg, welchen ich gekommen war, zum Narrow Wall und zur Themse. Ich hatte noch keine zehn
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Schritte getan, als er aus der Tür einer Spelunke trat und mir, vor Wut zitternd, den Weg versperrte.
«Warum verfolgt Ihr mich, Mister Ellis?», fragte er, zog seinen Degen und ging in so eindeutiger Absicht auf mich los, dass mir nichts anderes blieb, als selbst blankzuziehen und in Stellung zu gehen. Gewiss, ich hatte Newton versprochen, mich nicht mit dem Major anzulegen, aber ich sah keine Möglichkeit, es zu vermeiden. Ich riss mir, der besseren Sicht und Beweglichkeit wegen, den Hut herunter, obwohl ich seinen ersten Stoß selbst dann mit Leichtigkeit hätte parieren können, wenn ich die St.-
Edwards-Krone getragen hätte, denn es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Major tatsächlich betrunken war. Was immerhin erklärte, warum es so lange gedauert hatte, bis er mich erkannte.
«Steckt Euren Degen weg», befahl ich ihm. «Oder ich werde nicht umhinkönnen, Euch zu verwunden, Sir.»
Er ging mit einigem Grimm ein zweites Mal auf mich los, sodass ich mich nunmehr gezwungen sah, ernsthaft zu fechten.
Noch immer in keinerlei echter Bedrängnis, ließ ich ihn in die enge Mensur kommen und fing ihn Heft an Heft ab und sein immer noch rauchgeschwängerter Atem wehte mich an, als er seine Frage wiederholte: «Warum verfolgt Ihr mich, Mister Ellis?»
So wäre mir beinah entgangen, dass er mit der freien Hand einen Dolch zog und ich konnte gerade noch einen Schritt zurückweichen, ehe er mit der zweiten Waffe auf mich losfuhr, was jedoch dadurch vereitelt wurde, dass ihm die Spitze meines Rapiers in den linken Oberarm drang. Der Dolch fiel klirrend zu Boden und Mornay öffnete seine Blöße so weit, dass es mir ein Leichtes gewesen wäre, ihn zu durchbohren, hätte mich meine Nüchternheit nicht davon abgehalten. Tatsächlich hatte ich gute Lust, ihn zu töten, denn ich verabscheue es, wenn jemand bei einem Fechtkampf einen Dolch zieht. Doch ich zog mich ein paar Schritte zurück, was Mornay Gelegenheit gab, ins Dunkel
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von Lambeth Marshes zu flüchten.
Ich wartete kurz, hob dann seinen Dolch vom Boden auf und betrachtete die eigentümlich gestaltete Waffe einen Augenblick, ehe ich sie in den Schaft meines Stiefels steckte. Ich wusste nicht recht, ob ich mit mir zufrieden sein sollte. Ich hatte ihn nicht getötet und er hatte mich nicht getötet, was zweifellos ein gewis ser Grund zum Jubeln war. Aber würde Newton der
«Refraktion» des Majors, wenn sich sein niederträchtiges und unbeherrschtes Verhalten denn als solche bezeichnen ließ, viel entnehmen können?
Wahrscheinlicher schien, dass der Major Lord Lucas Mitteilung machte, welcher den ganzen Skandal um unseren Streit dazu nutzen würde, sich ein weiteres Mal bei den Lordrichtern über die Münze zu beschweren. Doch das bekümmerte mich im Moment nicht weiter, denn ich war plötzlich sehr müde und fand, dass ich großes Glück gehabt hatte, mit dem Leben davongekommen zu sein. Es
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