Newtons Schatten
Schrift, welche am Baum meines Lebens gerüttelt hatten, sodass der Apfel meines Glaubens zu Boden gefallen war, wo er zu faulen und sich aufzulösen begann. Aber das war nur ein Teil der Wahrheit. Durch Newton wurde es mir zur zweiten Natur, Fragen zu stellen. Und ich begann zu erkennen, dass es unsere Pflicht ist, zu fragen, ob diese Glaubensdinge wahr sind oder nicht und wenn ja, ob sie gut sind oder nicht.
Wenn wir Gott finden wollen, müssen wir alle Ignoranz, uns selbst, unsere Welt und unser Universum betreffend, ausräumen.
Seltsamerweise waren es die Silberkelche, die Mister Scroope Newton für das Trinity College übergeben hatte, welche mich erstmals veranlassten, den Pentateuch infrage zu stellen. Auf den Kelchen war die Geschichte des Nektanebos dargestellt, des letzten einheimischen Königs von Ägypten, welcher ein Magier war und Figuren seiner eigenen und der feindlichen Soldaten anfertigte und in ein Wasserbecken setzte, um durch einen Zauber zu bewirken, dass der Feind von den Fluten des Nils verschlungen würde. Und das brachte mich auf den Gedanken, dass der Teil des Auszugs aus Ägyptenland, bei dem Moses die Kinder Israels durch das Rote Meer führt und die Truppen des Pharao in den Fluten ertrinken, nur eine bei den Ägyptern entlehnte Geschichte war. Was mich erschütterte, denn wenn der Pentateuch nicht wahr war, konnte doch alles Weitere, was in der Bibel folgte, auch nur Mythos und Legende sein. Und so kam ich nach und nach zu der Frage: Wenn ein Teil der Bibel
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bei genauerem Hinsehen zweifelhaft war, warum dann nicht die ganze Bibel?
Vielleicht hätte ich trotzdem noch weiter an Gott geglaubt. Aber es waren die wissenschaftlichen Werke meines Herrn, welche mich dazu brachten, die Existenz Gottes selbst infrage zu stellen. Es war seine Mathematik, die den Kosmos auf eine Reihe algebraischer Berechnungen reduzierte, während seine verflixten Prismen Gottes Regenbogenbund mit Noah demontierten. Wie konnte Gott noch in einem Himmel wohnen, welchen man so genau durch ein Fernrohr beobachten und so präzise als eine Serie von Fluxionen beschreiben konnte? Wie ein satanischer Geometer zerstach Newton mit einem einfachen Zirkel die Seifenblase der Existenz Gottes und zerteilte das Himmelreich. Und als mein eigenes Denken all diese Geheimnisse gelüftet fand, stürzte es wie ein flammender Cherub aus dem Himmelsäther auf die Erde herab mit schrecklichen Folgen. Oh, wie gefallen, wie verwandelt! Als hätte ich mich einst für einen Engel ge halten, dann aber, als meine Flügel durch die scharfen Scherenblätter der Wissenschaft gestutzt waren, entdeckt, dass ich nichts weiter war als ein Rabe auf dem Tower Green, der krächzend sein grausames Los beklagte. Der Qual Gefilde, jammervolle Schatten! Wo Fried und Ruh nicht weilt, nicht Hoffnung naht, die allen naht.
Im Offiziersquartier der Ordnance fanden wir Major Mornay, den Arm in einer Tuchschlinge. Er wurde gerade von Mister Marks, dem Towerbarbier, rasiert und befehligte einen Helferstab, bestehend aus Mister Whiston, dem Kommissionshändler, Lieutenant Colonel Fairwell, Captain Potter und Captain Martin. Trotz der Ausschweifungen des Vorabends schien er gut gelaunt, denn wir hörten schon von draußen seine Stimme; doch bei unserem Eintreten verstummte er inmitten der heroischen Geschichte, wie er zu der Armwunde gekommen war, nahm die Farbe einer roten Rübe an und starrte
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uns an wie zwei Geister.
«Olim, heri, hodie, aas nescio cujus», bemerkte Newton mit einem sadistischen Lächeln.
Einst, gestern, heute, morgen, ich weiß nicht, wessen. Damit wollte mein Herr dem Major wohl zu verstehen geben, dass er wusste, wie dieser wirklich zu seiner Wunde gekommen war.
Und doch bezichtigte er ihn auf diese Weise nicht offen der Lüge, was Mornay womöglich dazu getrieben hätte, ihn zu fordern. Mein Herr war kein Feigling, aber er hatte kaum je einen Degen, geschweige denn eine Pistole in der Hand gehabt und war nicht im mindesten darauf aus, sich fordern zu lassen.
Ich hatte da weniger Grund zur Zurückhaltung, aber Newton hatte mir eingeschärft, mich nur dann zu äußern, wenn er mir ein Zeichen gab.
«Was soll das heißen?», fragte Major Mornay meinen Herrn und seine Stimme zitterte, als ginge es um die Unterstellung von Hochverrat.
«Was es heißen soll? Oh, gar nichts, Major. Die Natur hat mich mit einer Art geschlagen, welche zuweilen wie Impertinenz wirkt. Das ist nur der Fluch des Intellekts, denn ich glaube, dass
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