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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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zu lassen. Das ist ein verruchtes Haus. Was ein Mann mit Geld dort nicht bekommt, das braucht er auf dieser Welt nirgendwo anders zu suchen. Einmal wollte er mich mitnehmen.
    Er bot mir eine Guinee dafür, dass ich's mit einer anderen Frau treibe. Nun ja, dagegen habe ich nichts. Ist sicherer als mit einem Mann. Einfach nur das Geschlecht eines anderen Mädchens lecken und ein bisschen stöhnen. Aber ich habe Geschichten über dieses Haus gehört. Beim Holländer, so nennt es sich. Manch armes Mädchen, welches zum Arbeiten dort hingeht, wird nimmer gesehen.»
    Nachdem ich ihr mit einem Schilling die Wegbeschreibung zu diesem verruchten Haus entlockt hatte, trat ich wieder auf die Fleet Street hinaus, nahm eine Kutsche und fuhr hinunter zu den
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    White's Stairs in der Channel Row, wo ich einen Fährmann rufen hörte und gerade noch ein Boot erwischte, um über den Fluss zu setzen.
    Der Mond schob sich unter einer schwarzen Himmelslasche hervor wie ein krummer gelber Fingernagel. Auf halber Strecke über den Fluss senkte sich ein Nebel auf uns herab, welcher uns umfing wie eine schwimmende Pestwolke. In der Ferne leuchteten die Fenster der schiefen Häuser auf der London Bridge wie eine Halskette von gelben Diamanten.
    Bislang erfüllte ich die Aufgabe, meinen Hasen zu hetzen, recht jämmerlich und ich wusste nicht, wie ich Miss Bartons Onkel erklären sollte, wohin mich die Verfolgung des Majors geführt hatte. Und ich wusste auch nicht, wie ich meine Spesen geltend machen sollte. Welcher Mann wollte schon, dass sich sein Mündel mit einem Burschen einließ, der solche Orte besucht hatte? Und schon gar nicht ein Mann wie Newton, welcher alles Unsittliche strikt verurteilte und nur nach Höherem trachtete, ein Mann, für den der Leib und seine Bedürfnisse nicht zu existieren schienen, es sei denn als Medium wissenschaftlicher Erkenntnis.
    Sooft ich Newton in die Augen sah, musste ich daran denken, wie er seinen Augapfel mit einer Haarnadel traktiert hatte. Was wusste ein solcher Mann von menschlicher Schwäche?
    Unser Boot schaukelte auf dem grauen Wasser dahin, kam aber für mein Gefühl kaum voran und irgendwo über uns schwebte eine Möwe wie ein unsichtbarer, kreischender Dämon. Ganz allmählich näherten wir uns dem anderen Flussufer, wo sich der Nebel lichtete und schädelförmige Schiffsrümpfe auf uns herabdräuten. Ein Hund bellte in der Ferne, als ich an der King's-Arms-Treppe aus dem Boot stieg, dann war alles still.
    Lambeth war ein großes Dorf am Surrey-Ufer der Themse, wo es ziemlich wild zuging. Die meisten Häuser scharten sich um den Bischofspalast und die St.-Mary-Kirche und dahinter erhoben sich schwarze Schiffsmasten. Vom östlich gelegenen Southwark mit seinen vielen kleinen Schmiedewerkstätten
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    trennte Lambeth das Marschland, wo viele zwielichtige Häuser und einsame Schänken standen. Sobald ich an Land war, zog ich mein Rapier, denn hier, am Südufer des Flusses, war es um einiges dunkler und in der Nähe lungerten ein paar finstere Gestalten herum. Ich folgte, wie mich Deborah instruiert hatte, dem Narrow Wall nach Osten, bis ich zu der Sägemühle kam und lenkte dann meinen Schritt nach Süden, über eine stinkende, sumpfige Wiese hin zu einer kleinen Reihe von Häusern. Hier fand ich das gesuchte Haus, gekennzeichnet durch das Symbol des Sterns, welches ja, wie es heißt, unzüchtige Etablissements anzeigt. Ich lugte durch ein schmutziges Fens ter und als ich das orangefarbene Zünglein einer Kerzenflamme sah, klopfte ich an.
    Mir öffnete eine Frau, welche ganz ansprechend aussah, wenn ihr Gesicht auch etwas hart und gelblich wirkte und ihre Lider seltsam reglos schienen und nachdem ich sie begrüßt und die geforderten zehn Schillinge, was eine ziemlich hohe Summe war, entrichtet hatte, trat ich ein. Ein schwerer, süßlicher Geruch hing in der pfeifenrauchgeschwängerten Luft.
    Die Frau nahm mir das Cape ab und als sie es an einen Haken hängte, erkannte ich dort Hut und Mantel des Majors. Er war tatsächlich hier. «So», sagte sie mit einem zischenden Akzent, welcher mich vermuten ließ, dass sie Holländerin war. «Wollt Ihr zuerst eine Pfeife rauchen oder gleich die Show sehen?»
    Ich habe es nie mit dem Rauchen gehalten, weil ich davon husten muss und entgegnete daher, ich wolle die Show sehen.
    Sie schien etwas überrascht, führte mich aber durch einen verschlissenen grünen Vorhang und eine Treppe hinab, in einen niedrigen, schäbigen, von schmierigen Spiegeln

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