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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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wäre wohl nur gerecht gewesen, wenn ich den Tod gefunden hätte, denn ich hatte mich zweifellos schwer an Miss Barton versündigt und ich fasste den festen Vorsatz, dergleichen nie wieder zu tun.
    Am nächsten Morgen untersuchte Newton interessiert Mornays Dolch und polierte ihn wie ein gemeiner Gassenbravo, während ich eine purgierte Version meiner abendlichen Abenteuer auf den Spuren des Majors vortrug. Den Fechtkampf ließ ich aus und als ich beschrieb, wie ich selbst meine Wollust niedergerungen hatte, entlockte dies Newtons asketischen Lippen, welche gewiss nie etwas anderes geküsst hatten als Miss Bartons Stirn und allenfalls noch ein besonders geschätztes Buch, die folgende Betrachtung.
    «Gewaltsam im Zaum gehaltene Wollust entflammt erst recht», sagte er ernst. «Der beste Weg, keusch zu bleiben, ist nicht, mit unkeuschen Gedanken zu ringen, sondern sie dankend zurückzuweisen und den Geist mit anderen Dingen beschäftigt zu halten. Das war immer schon meine Erfahrung. Wer nur an
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    Keuschheit denkt, denkt fast immer an Frauen und jeder Kampf mit unkeuschen Gedanken hinterlässt Spuren im Geist, welche diesen Gedanken die Wiederkehr nur erleichtern. Doch bitte fahrt weiter fort mit Eurer Geschichte. Ich bin fasziniert.»
    «Sie ist so gut wie beendet», erwiderte ich. «Draußen vor dem Haus in Lambeth Marshes lief er davon, wobei ihm der Dolch entfiel.»
    «Aber Ihr habt Euren Fechtkampf ausgelassen», protestierte Newton. «Darauf bin ich besonders gespannt. Sagt, ist der Major schwer verwundet?»
    «Er zog zuerst», stammelte ich. «Und ich konnte nicht umhin, mich zu wehren. Ich habe ihn nur in den Arm gestochen und zweifle nicht, dass er bald wiederhergestellt sein wird. Aber woher wisst Ihr das, Herr? Hat er Lord Lucas informiert? Geht es bereits im ganzen Tower herum? Hat seine Lordschaft sich schon beschwert?»
    «Ich bin mir sicher, dass Major Mornay Lord Lucas nicht davon unterrichten wird», sagte Newton. «Ich bitte Euch, ein Major der Ordnance, besiegt von einem kleinen Münzbeamten? Diese Schmach könnte er nicht ertragen.»
    «Aber», sagte ich einigermaßen verwirrt, «woher wisst Ihr dann von unserem Kampf?»
    «Ganz einfach. Ihr habt Euer Rapier gereinigt. Die Glocke glänzt jetzt wie ein Abendmahlskelch, während sie gestern noch so stumpf wie Zinn war. Zuletzt habt Ihr Euren Degen poliert, nachdem Ihr ihn gebraucht hattet, um Mrs. Berningham beizuspringen. Ich möchte die Behauptung wagen, dass der Major, nachdem Ihr ihn mit dem Degen besiegt hattet, diesen Dolch hier zog und ihn Euch zwischen die Rippen zu jagen versuchte.»
    «Der Kampf verlief genau, wie Ihr sagt», gab ich zu. «Ich weiß nicht, wieso ich meinte, ihn Euch verschweigen zu können. Ihr scheint alles zu wissen, ohne dass man es Euch sagt. Wirklich
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    ein erstaunlicher Trick.»
    «Es ist kein Trick», sagte Newton lächelnd. «Lediglich Beobachtung. Satis est. Das genügt.»
    «Dann möchte ich auch so beobachten können wie Ihr.»
    «Aber das ist, wie schon wiederholt gesagt, kein besonderes Kunststück. Es wird schon noch kommen. Wenn Ihr lange genug am Leben bleibt. Ich glaube nämlich, diesmal habt Ihr großes Glück gehabt. Nach dem, was Ihr mir erzählt habt und was hier auf dieser Klinge steht, ist Major Mornay und vermutlich nicht nur er, ein religiöser Fanatiker.»
    «Ich habe keine Gravur auf der Klinge gesehen», sagte ich.
    «Ihr hättet besser diesen Dolch polieren sollen als Euren Degen», sagte Newton und reichte mir den Dolch, dessen Klinge jetzt regelrecht funkelte.
    «Denkt an den Glauben», las ich von der einen Seite der Klinge ab. «Denkt an Sir Edmund Berry Godfrey», fuhr ich, die andere Seite zitierend, fort.
    «Das ist ein Godfrey-Dolch», erklärte Newton. «Davon wurden eine ganze Reihe geschmiedet, nach Sir Edmund Berry Godfreys Ermordung im Jahr 1678.» Mein Herr forschte in meinem Gesicht nach einem Zeichen, dass mir dieser Name etwas sagte. «Von dem müsst Ihr doch gehört haben.»
    «Gewiss», sagte ich. «Damals war ich noch ein Kind. Aber war das nicht der Richter, der bei der Papistenverschwörung gegen König Charles von den Katholiken ermordet wurde?»
    «Ich verabscheue den Katholizismus in all seinen Aspekten», sagte Newton. «Er strotzt von monströsem Aberglauben, falschen Wundern und üblen Lügen. Aber es gab nie eine üblere Lüge und bösartigere Attacke auf die Sicherheit des Königreichs als diese so genannte Papistenverschwörung. Damals verbreiteten

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